Forschung

Einblicke in die Geographie

Nachhaltige Mobilität im autoreduzierten Quartier?

Sina Selzer im Gespräch mit Franziska Krachten

Trotz zahlreicher Visionen zur Zukunft der urbanen Mobilität: Der Automobilbestand in Deutschland steigt weiter. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist es jedoch unumgänglich, Emissionen zu mindern und dafür den Autoverkehr und die Zahl der Autos zu reduzieren. Sina Selzer hat in ihrer Doktorarbeit Treiber und Hemmnisse für die Umsetzung eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts sowie dessen Wirkung auf eine mögliche Mobilitätsveränderung am Beispiel zweier autoreduzierter Quartiere in Darmstadt untersucht.

 

Was wirkt unterstützend auf eine autounabhängige Mobilität und ein autofreies Leben?

Zur Reduzierung der Autonutzung und des -besitzes können die materiellen Mobilitätskontexte (Raum- und Infrastrukturen, Mobilitätsausstattungen) unterstützend wirken. Neben restriktiven (z. B. Pkw-Stellplatzreduzierung) tragen auch angebotserweiternde Maßnahmen (z. B. Sharing-Angebote) zur Förderung der Autounabhängigkeit bei. Entscheidend scheint das Zusammenspiel aus konsequenten Autorestriktionen und dem Gewinn an qualitativ hochwertigen Mobilitätsalternativen zu sein.

Zusätzlich hat die Bereitschaft für ein autofreies Leben von einigen Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern Vorbildfunktion und schafft ein soziokulturelles Umfeld, das andere dazu anregt, über eine Reduzierung der Autonutzung und des -besitzes nachzudenken.

 

Welche Hemmnisse stehen einem autofreien Leben entgegen?

Hemmend wirken neben den materiellen Mobilitätskontexten außerhalb der Quartiere auch die enge Verflechtung des Autofahrens mit anderen Alltagspraktiken sowie die teils emotionale Bindung und beständige Zufriedenheit mit der Autonutzung und dem -besitz. Ein autofreies Leben sowie die Einführung von Restriktionen für das Auto weichen immer noch von der bekannten Norm ab, weshalb diese gesellschaftlich weniger akzeptiert werden. Zur Abkehr möglichst vieler Menschen vom Auto sollte folglich der im autoreduzierten Wohnquartier angestoßene materielle und immaterielle Wandel weiter vorangetrieben werden.

 

Welche Unterschiede treten zwischen der Planungsvision und der tatsächlich gelebten Alltagsmobilität auf?

Entgegen der Planungsvision haben nur wenige Haushalte nach ihrem Wohnumzug den Pkw aufgegeben. Die Abschaffung des Pkw wird mit einem zu großen Verzicht assoziiert, wohingegen der private Autobesitz immer noch Freiheit, Flexibilität und Komfort verspricht. Auch bereits umgesetzte restriktive Maßnahmen, wie z. B. die Reduzierung und Bepreisung von Pkw-Stellplätzen entsprechen nicht der Norm. Folglich weichen auch die in den untersuchten Wohnvierteln identifizierten Parkpraktiken teils stark vom Planungsideal ab. Einige autobesitzende Haushalte sehen die Parkrestriktionen sehr kritisch und suchen sich deshalb Ausweichmöglichkeiten, wie z. B. das Parken in einem angrenzenden, noch nicht parkraumbewirtschafteten Quartier.

 

Kontakt:

Dr. Sina Selzer
Institut für Humangeographie, Fachbereich Geowissenschaften/ Geographie, Johann-Wolfgang-Goethe- Universität zu Frankfurt a. M. selzer@geo.uni-frankfurt.de

Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 3-2024 erschienen.