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Rundbrief Geographie Heft 310

Veröffentlicht im Rundbrief 310

Editorial: Verantwortung in der Wissenschaft – Exkursionen klimafreundlich?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im Editorial des RUNDBRIEF 307 schrieb kürzlich Christoph SCHNEIDER (HU Berlin) überzeugend über Nachhaltigkeit in der Wissenschaft sowie den Beitrag und die Verantwortung der Geographischen Wissenschaften zum Klimaschutz. Obgleich die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel derzeit in Politik und Gesellschaft an Elan und Relevanz verloren zu haben scheinen, notwendige Klimaschutzmaßnahmen teilweise auf lautstarken Widerstand stoßen und von „Flugscham“ kaum noch die Rede ist, möchten wir diese wichtige Thematik erneut aufgreifen. Die bereits skizzierten Möglichkeiten einer praktischen Umsetzung im Rahmen unseres Wirkungskreises als Hochschulgeograph:innen in Forschung, bei Tagungsreisen oder der klimafreundlichen Transformation von Institutionen bekräftigen wir ausdrücklich und wollen an dieser Stelle den Fokus auf geographische Exkursionen lenken.

Exkursionen und Geländepraktika sind integraler Teil vieler Curricula geographischer Studiengänge und dienen dazu, theoretisch erworbene Kenntnisse und Methoden „draußen“ bzw. „im Feld“ zu überprüfen und anzuwenden sowie Gruppensolidarität, Weltoffenheit und interkulturelle Kompetenz zu stärken. Die Konfrontation mit diversen Lebensrealitäten in urbanen und ländlichen Kontexten, die Wahrnehmung regionaler und globaler Disparitäten sowie die Erprobung eigener Erhebungen zur Beantwortung erarbeiteter Fragestellungen vermitteln den Studierenden eine Exposition mit professionellen Aspekten einer möglichen zukünftigen Berufstätigkeit sowie wertvolle persönliche Erfahrungen. Exkursionen tragen auch in hohem Maße zur Motivation der Studierenden und zur Intensivierung der Beschäftigung mit spezifischen regionalen Problemen bei, weshalb ihnen zurecht eine große Bedeutung in der geographischen Ausbildung zukommt.

Die Praxis zeigt, dass geographische Exkursionen mit Studierenden weltweit Ziele ansteuern. Kostengünstige Flugreisen haben es ermöglicht, dass keine Weltregion und vermutlich kaum ein Land dieser Erde nicht bereits als Ziel einer geographischen Exkursion angesteuert wurden. Das Œuvre mancher Kolleg:innen ist dabei erstaunlich und nicht selten weltumspannend, wobei sich hier die Frage nach der tatsächlichen Motivation bei der Auswahl oftmals „exotischer“ Exkursionsziele stellt. Geht es um die Abarbeitung einer persönlichen Bucket List, um möglichst viele Staaten auf einer Scratch Map freizurubbeln und all seine Wunschreiseziele zu besuchen – vom Staat finanziert und mit ein paar Studierenden im Schlepptau –, oder steckt mehr dahinter?

Unbestritten werden hervorragende und ansprechende Exkursionen mit großem Engagement und aufwändiger Vorbereitung organisiert und durchgeführt, steht die Wissensvermittlung in den allermeisten Fällen im Vordergrund und soll die Exkursion auch dazu dienen, den Horizont der Studierenden zu erweitern. Dazu gehört es auch, naturräumlich und soziokulturell andere, neue Räume aufzusuchen und spezifische Situationen und Probleme vor Ort zu erleben, um sie dadurch besser zu verstehen.

Aber können wir es uns angesichts der unbestrittenen Folgeprobleme durch den ungebremsten Klimawandel weiterhin leisten, Exkursionen in Polynesien, Alaska oder Chile durchzuführen, insbesondere wenn wir – was gar nicht so selten der Fall ist – diese Länder selbst niemals zuvor besucht haben und trotzdem meinen, den Studierenden eine hochqualitative Exkursion anzubieten? Wie wirken sich solcherart Exkursionen auf unsere Glaubwürdigkeit als integre Umweltwissenschaftler:innen aus? Müssen wir nicht stärker unserer Verantwortung als Forschende zum Klimawandel und dessen Folgen gerecht werden?

Exkursionen sollten nur untergeordnet dazu dienen, persönliche Reisewünsche zu realisieren. Immerhin stellen Exkursionen Multiplikatoren dar, wodurch sehr leicht durch eine individuelle Entscheidung für eine bestimmte Destination ein signifikanter Carbon Footprint erzeugt oder auch verhindert wird. Ob 0,1 t CO2e pro Person für eine zweiwöchige Busexkursion in den Alpen oder 4 t CO2e pro Person während einer Exkursion in Südostasien emittiert werden, macht bei einer Teilnehmendenzahl von 20 Personen durchaus einen beträchtlichen Unterschied. Dass wir als Mitglieder einer wohlhabenden und immer noch in hohem Maße treibhausgasemittierenden Gesellschaft eine besondere Verantwortung haben, sollte als Imperativ unbestritten sein.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns am Institut für Geographie der Universität Augsburg mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein klimafreundlicheres Angebot an geographischen Exkursionen erzielt werden kann. Hierzu haben wir eine Art „Green Card“ entwickelt, wonach Exkursionen vor der Genehmigung durch die Institutsleitung eine Prüfung in Form eines Punktesystems durchlaufen müssen. Denn, so das übergeordnete Ziel, bei der Wahl der Destination und des Verkehrsmittels bei großen Exkursionen soll dem Aspekt der Klima- und Umweltverträglichkeit großer Wert beigemessen werden. Um jedoch Exkursion in außereuropäische Destinationen nicht gänzlich zu verunmöglichen, zumal diese in vielerlei Hinsicht zweifellos ihre Berechtigung haben, werden neben dem Aspekt eines klimafreundlichen, sprich CO2-armen Transports auch das Preis-Leistungsverhältnis (um allen Studierenden durch geringe Kosten die Teilnahme zu ermöglichen) sowie der Bezug der Dozierenden zur Exkursionsregion bepunktet. Letzteres bedeutet, dass Inhalte und Destinationen der Exkursion idealerweise regional und inhaltlich in Beziehung zu laufenden oder abgeschlossenen Forschungsarbeiten stehen oder dem vertieften Wissens- und Kenntnisgebiet der Dozierenden zugeordnet werden können. Die Klimafreundlichkeit wird mithilfe von verfügbaren CO2-Rechnern belegt, indem für An- und Rückreise sowie Transport in der Destinationsregion unter Berücksichtigung der Transportmittel und zurückzulegenden Entfernungen der CO2-Verbrauch pro Person ermittelt und bei der Exkursionsankündigung angegeben wird. Erst bei Erreichen einer Mindestpunktzahl wird die Exkursion genehmigt. (Details können gerne angefragt werden; die Berechnung ist deutlich einfacher, als es hier den Anschein vermittelt).

Unserem Modell entsprechend bedeutet dies, dass neben Exkursionen, die gänzlich ohne Flugreise auskommen, auch eine preisgünstig gestaltete Exkursion nach Westafrika oder Indien durchaus möglich ist, wenn diese Regionen gleichzeitig Forschungsgebiet der Dozierenden sind. Eine Exkursion nach Mexiko oder Taiwan ohne eigenen Forschungsbezug wird aber eher nicht die notwendige Punktezahl erreichen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir wollen keine Provinzialisierung der Geographie oder der geographischen Lehre, denn diese müssen selbstverständlich weltumspannend und offen sein. Mit einem entsprechenden Konzept sollten deshalb auch außereuropäische Exkursionen weiterhin möglich sein. Die Attraktivität klimafreundlicher Exkursionsangebote zu erhöhen, könnte auch noch durch einen Preis oder eine Auszeichnung, wie etwa „Klimafreundlichste Exkursion des Jahres“, ergänzt werden.

Uns ist sehr bewusst, dass diese Art der Selbstbeschränkung nicht von allen Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden auf freudige Zustimmung stößt. Zugleich senkt sie für manche Dozierende die Attraktivität, überhaupt Exkursionen anzubieten. Auch auf die Gefahr hin als moralisierende Spielverderber gesehen zu werden, sind wir dennoch davon überzeugt, dass angesichts der dringenden Notwendigkeit, einen Beitrag zur sozialökologischen Transformation zu leisten, den Kolleginnen und Kollegen sowie den Studierenden diese Hürde zugemutet werden kann. Zudem ist es unbestritten, dass auch Europa aufgrund seiner immensen naturräumlichen und kulturellen Vielfalt ausreichend viele attraktive und interessante Exkursionsziele bietet, die verhältnismäßig klimafreundlich bereist werden können.

Kontakt
Matthias Schmidt, schmidt@geo.uni-augsburg.de
Peter Fiener, fiener@geo.uni-augsburg.de