Editorial: Geographische Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum – Ein Aufruf zur Debatte und Unterstützung
Die skizzierten Geschäftsmodelle der Big Five und der Predatory Publishers können nur funktionieren, weil sich die Bedeutung des „internationalen“, mithin englischsprachigen Publizierens für Geograph:innen aus nicht-englischsprachigen Fach-Communities verändert hat. Damit einher geht ein Renommeegewinn internationaler Journals, häufig gemessen am Impactfaktor. Dieser Wandel wirkt selbstverstärkend, weil er zu einer Attraktivitätssteigerung der betreffenden Zeitschriften führt, was es ihnen wiederum leichter macht, qualitätsvolle Beiträge einzuwerben. Teil dieser selbstverstärkenden Dynamik ist eine zunehmende Präferenz für internationale Fachzeitschriften und englischsprachiges Publizieren auch bei Early Career Researchers und Doktorand:- innen bzw. deren Betreuer:innen. Schließlich will man nicht nur an internationalen Debatten teilhaben, sondern muss auch den eigenen CV für Bewerbungen und Berufungen optimieren sowie Arbeitgeber:innen und Drittmittelgeber:innen gegenüber belegen, dass deren Humankapitalinvestitionen Früchte tragen.
Erstens ermöglicht es die Deutsch- bzw. häufig Mehrsprachigkeit dieser Fachzeitschriften, Debatten in unterschiedlichen Sprachen mit unterschiedlichen thematischen, konzeptionellen und stilistischen Schwerpunkten aufrechtzuerhalten und so zu einer pluralen Wissensproduktion beizutragen. Zudem erlauben andere Formate als das an den Naturwissenschaften orientierte typische Journal Paper auch nicht-anglophonen Praktiker:innen und Öffentlichkeiten einen erleichterten Zugang zu Veröffentlichungen. Die Zeitschriften eröffnen Räume für spezifische, häufig praxisnahe Debatten, die sich auch auf Probleme „vor der Haustür“ beziehen, was insbesondere für anwendungsbezogene und eingreifende kritische Forschung einen hohen Wert hat.
Zweitens bietet die Vielfalt geographischer Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum aufgrund ihrer deutlich größeren Unabhängigkeit von großen kommerziellen Wissenschaftsverlagen vergleichsweise gute Publikationsbedingungen (etwa in Hinblick auf Publikationskosten) sowie größere Einflussmöglichkeiten für die Herausgeber:innen, Aspekte der Finanzierung wie z. B. Modelle von Open Access, Gebührenstrukturen für Autor:innen etc. mitzugestalten.
Drittens bieten sich einige dieser Fachzeitschriften insbesondere (wenngleich natürlich nicht ausschließlich!) als Einstiegsjournals für Wissenschaftler:innen in einer frühen Karrierephase an. Denn aufgrund der kleineren Communities sind diese Zeitschriften trotz ihres strengen Qualitätsmanagements und häufig „zweiseitig anonymisierter“ Begutachtungsprozesse oft durch eine persönlicher gehaltene Kommunikation – und ggf. maßgeschneiderte Ratschläge – gekennzeichnet als die großen anglophonen Journals.
Erstens freuen wir uns als Herausgeber:innen über qualitativ hochwertige Einreichungen sowie Vorschläge für Themenhefte (etwa aus Workshops oder Konferenz-Sitzungen) – von erfahrenen Kolleg:innen wie auch von Doktorand:innen (etwa im Rahmen kumulativer Promotionen) und Projektmitarbeiter:innen. Letztgenannten wird zunehmend geraten, früh und oft noch vor Durchführung der eigenen Empirie zu publizieren, was jedoch unbedingt ein Mindestmaß an Unterstützung und Qualitätskontrolle seitens der Betreuer:innen, Projektleitungen oder anderer erfahrener Kolleg:innen erfordert. Diese Betreuung und Qualitätskontrolle sind leider nicht immer gewährleistet. Dies betrifft in erster Linie den Inhalt, die Strukturierung und Argumentation sowie die Auswahl von Zeitschriften in Bezug auf die inhaltliche Passung. Ferner sollte vor der Einreichung eines Beitrags selbstverständlich sichergestellt sein, dass dieser sorgfältig und ohne Tippfehler geschrieben ist und die formalen Vorgaben der betreffenden Zeitschrift berücksichtigt. Es ist eine Aufgabe der Betreuer:innen, die Entstehung eines Beitrags durch Ermutigung und das Aufzeigen möglicher Schwächen und Überarbeitungsbedarfe zu begleiten und letztlich eine Einschätzung zu geben, wann ein Beitrag so weit ausgearbeitet ist, dass er eingereicht werden kann. Die Betreuung von Doktorand*innen darf nicht in Reviewprozesse „ausgelagert“ werden.
Zweitens wird es zunehmend schwieriger, Gutachter:innen zu finden und Gutachten in zugesagter Zeit und adäquater Qualität zu erhalten (vgl. BELINA & VOGELPOHL 2017, WARDENGA 2017). An eine simple Grundregel muss immer wieder erinnert werden: Autor:innen sind auch Gutachter:innen. Es ist nur fair, für jedes eingereichte Manuskript mindestens zwei Gutachten einschließlich möglicher Nachbegutachtungen zuzusagen. Hinzu kommen die Manuskripte von Doktorand:innen und jenen Projektmitarbeiter:innen, für die man zuständig ist, die aber im Fall einer sehr frühen Karrierephase i.d.R. nicht selbst zur Begutachtung angefragt werden (sollten). Bei Anfragen zur Begutachtung, die entweder seitens Zeitschriften der Big Five und von Predatory Publishers oder von geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum gestellt werden, bitten wir darum abzuwägen, ob Erstere wirklich Ihre Expertise benötigen – was bei Letzteren aufgrund von Sprachkompetenz und Kenntnis der auch deutschsprachigen Literatur ziemlich sicher der Fall ist. Zwei diskutierte und praktizierte Umgangsweisen mit diesem Problemkomplex bestehen darin, entweder die Ansprüche an Ausführlichkeit und Qualität von Gutachten zu senken und sie nicht mehr zur Verbesserung, sondern ausschließlich zur Bewertung von Artikeln zu nutzen (DERICKSON 2022), oder den Anteil an „Desk Rejections“ zu erhöhen, d.h. mehr eingereichte Artikel erst gar nicht in die Begutachtung zu geben. Beide Wege erscheinen uns nicht erstrebenswert, und wir bemühen uns, sie (möglichst auch weiterhin) zu vermeiden. Dabei sind wir dringend auf die Unterstützung durch Gutachter:innen angewiesen, die wir zudem bitten, möglichst rasch auf Anfragen zu antworten und sich anschließend möglichst zeitnah mit dem Artikel zu befassen.
Drittens gibt es verschiedene weitere Wege, die geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum zu unterstützen: sicherstellen, dass die eigene Institution sie abonniert bzw. konsortial unterstützt; auf neue Bücher zur Rezension hinweisen und Rezensionen schreiben und anbieten; entsprechende Zeitschriften lesen, zitieren, in der Lehre nutzen und ggf. auf sie reagieren, etwa in Form eigener Einreichungen.
Viertens sollten wir alle als Angehörige der geographischen Fach-Community in unseren diversen Rollen als Gutachter:innen in kompetitiven Ausschreibungen (z. B. Berufungsverfahren) wie auch bei der Betreuung und Beratung von Early Career Researchers gemeinsam darauf hinwirken, dass die hohe Qualität und wissenschaftliche Eigenständigkeit der Zeitschriften im deutschsprachigen Raum anerkannt und wertgeschätzt wird. Dazu gehört auch, in Begutachtungen nicht automatisch „internationale“ Publikationen als „besser“ zu bewerten, sondern den Blick auf die wissenschaftliche Qualität der Beiträge zu richten. Wenn die geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum unserer Fach-Community erhalten bleiben sollen, dann brauchen sie unser aller Unterstützung und Arbeitskraft – Ressourcen, bei deren Verausgabung wir zumindest immer mitbedenken sollten, ob wir sie den Großkonzernen der Big Five und der Predatory Publishers oder vorwiegend den geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum zugutekommen lassen wollen.
Darüber hinaus erscheint es uns wichtig, auch in einem weiteren Sinn über die Problematiken des gewinnorientierten Publikationswesens und dessen Auswirkungen zu diskutieren und über eventuelle Freiräume für alternative Modelle nachzudenken. Dazu gehören Modelle von Open Access, die den offenen Zugang zu akademischem Wissen ermöglichen, ebenso, wie aktuelle Debatten um Slow Scholarship, die für Produktionsbedingungen jenseits der immer weiter beschleunigten neoliberalen Verwertungslogiken plädieren. Über diese Themen wollen wir in der Ad hoc-Gruppe weiter im Austausch bleiben. Irgendeine Form der laufenden, kollektiven Reflexion über die hier angesprochenen Entwicklungen sehen wir als zunehmend nötig – nicht nur „nice to have“, um dem deutschsprachigen geographischen Diskurs eine „mehr-als-defensive“ Zukunft zu gewährleisten.
Bayreuth, Geographische Zeitschrift), Sebastian Henn (Universität Jena, ZFW – Advances in Economic Geography), Hanna HILBRANDT (Universität Zürich, Geographica Helvetica), Jan HUTTA (Universität Bayreuth/ Goethe-Universität Frankfurt, sub\urban), Caroline KRAMER (KIT – Karlsruher Institut für Technologie, Berichte. Geographie und Landeskunde), Olaf KÜHNE (Universität Tübingen, Berichte. Geographie und Landeskunde), Nadine MARQUARDT (Universität Bonn, Geographica Helvetica), Annika MATTISSEK (Universität Freiburg, Die Erde), Boris MICHEL (Universität Halle, sub\urban), Carmella PFAFFENBACH (RWTH Aachen, Geographische Zeitschrift), Kati VOLGMANN (ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Raumforschung und Raumordnung), Alexander VORBRUGG (Universität Bern, Geographica Helvetica)
Hanna Hilbrandt, hanna.hilbrandt@geo.uzh.ch
BELINA, B. & A. VOGELPOHL (2017): Gutachten: individueller Ärger, strukturelle Gründe, produktive Auswege. Rundbrief Geographie 268: 20 –22.
DERICKSON, K. (2022): The case for doing less in our peer reviews. Environment and Planning D: Society and Space, 40(6): 963–966. https://doi. org/10.1177/02637758221142339
WARDENGA, U. (2017): Einige (wissenschaftssoziale) Bemerkungen zum Schreiben und Begutachten von Texten. Rundbrief Geographie 268: 9–11.