Geographische Wissenschaftsdiplomatie – Eine Perspektive
Von Dagmar Haase
Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine Welt voller Ungleichheit und Ungleichverteilungen von Ressourcen, Wohlstand und Lebenschancen. Daraus resultieren geopolitischen Spannungen und Konflikte.
Geographisches Wissen und geographische Handlungen können zur Moderation dieser globalen, regionalen und lokalen politischen Konflikte beitragen. Und damit im diplomatischen Sinne wirken. Die Geographie beforscht existenzielle Felder der aktuellen Diplomatie und die Politik arbeitet auf und mit genuin geographischen Feldern. Am Beispiel der Klimawandel-Wissenschaft wird deutlich, dass die Forschung grundsätzlich nur auf globaler Skala funktioniert, denn Klimawandel ist global. Erkenntnisgewinn durch Verifikation und Falsifikation entsteht nur, wenn man aus verschiedenen Richtungen auf ein und dieselbe Sache blickt und diese diskutiert. Sind die Perspektiven fachlich, national oder auch genderbezogen verengt, gehen die größeren systemischen Zusammenhänge schnell verloren. Der Klimawandel und seine Folgewirkungen berühren sehr verschiedene Aspekte des täglichen Lebens, aber auch des Zusammenhaltes von ganzen Gesellschaften, sodass dessen Bekämpfung ohne eine ganzheitliche Herangehensweise keinen Sinn machen würde – Klimawandeldiplomatie dagegen schon!
Dass Politik wissenschaftliche Evidenz einbezieht, zeigt sich zum Beispiel am Mitwirken von Forschenden aus den Geowissenschaften bei der positiven Entscheidung des EU-Umweltrats zur Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in diesem Jahr. Sie wird dazu führen, dass sich widerstandsfähige Ökosysteme in den Land- und Meeresflächen der EU langfristig und nachhaltig entwickeln können.
Ebenso können Geographinnen und Geographen als Vertreter unserer Disziplin neben ihrem Wissen auch selbst diplomatisch wirken. So sind viele heute bereits in der wissenschaftlichen Strategie- und Politikberatung tätig. Viele geben Fachinterviews oder sind in Blogs unterwegs. Andere leiten nationale und internationale Summer Schools oder koordinieren internationale Forschungsprojekte und tragen so zur internationalen, interregionalen und interkulturellen Vertrauensbildung sowie zum Wissensaustausch bei. Um diese wissenschaftliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg abzusichern, zu erleichtern und zu fördern, bedarf es im Gegenzug aber außenpolitischer Gestaltungskraft und Gestaltungswillen. Zwischen Geographie und Diplomatie eröffnet sich somit ein gemeinsames Wirkungsfeld. Die politische Seite dieser vielfältigen Aktivitäten von Geographinnen und Geographen kann in Zukunft durchaus geschärft und expliziter gemacht werden.
Natürlich kann Wissenschaftsdiplomatie keine Aggression und keinen Krieg stoppen oder verhindern. Und auch Wissenschaftsfakten und -daten kommen hier an ihre Grenzen. Allerdings ist es durchaus realistisch zu sagen, dass Wissenschaftskooperation zum Zuhören, zum gegenseitigen Nachdenken und im besten Falle zur Vertrauensbildung beitragen und damit bis zu einem gewissen Grad integrierend, inklusiv und nicht exklusiv wirken kann.
KONTAKT
Prof. Dr. Dagmar Haase, Geographisches Institut der Humboldt-Universität zu Berlin
dagmar.haase@geo.hu-berlin.de
Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 12-2024 erschienen.