Call zur Tagung: Räumliche Konflikte um sozial-ökologische Transformation – Zwischen Krise, Polarisierung und Entwürfen räumlicher Gerechtigkeit
Jahrestagung des Instituts für Europäische Urbanistik (IfEU)
24. und 25. September 2025, Weimar
Die sozial-ökologische Transformation ist umkämpft. Konkurrierende Akteure ringen in verschiedenen Räumen darum, wie die sich verschärfenden Krisen bearbeitet werden und in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelt: In den Städten wird um die Gestaltung des Verkehrs und öffentlicher Flächen gestritten. Ländliche Räume gelten als abgehängt und Landwirt*innen protestieren gegen den ökologischen Umbau. Miet- und Energiekosten steigen, der politisch angestrebte Umstieg von Gasheizungen auf Wärmepumpen erhitzt die Gemüter und Einfamilienhäuser geraten verstärkt in die Kritik. Hitzestress, Trockenheit und Starkregenereignisse machen den Klimawandel zunehmend greifbar, aber die resiliente Umgestaltung der Städte trifft auf Widerstände. Viele dieser Konflikte sind nicht neu, haben sich aber in den letzten Jahren zugespitzt.
Die Akteure, die sich für einen ökologischen Umbau einsetzen, sind zuletzt in die Defensive geraten. Viele Menschen schrecken vor einer Umwälzung ihrer etablierten Lebensweisen zurück. Unternehmen verteidigen ihre fossilen Produktionsmodelle. Umstritten sind nicht nur die Verteilung der Transformationskosten, sondern auch die Fragen: Wer kann den Übergang eigentlich politisch mitgestalten? Und welche gesellschaftlichen Infrastrukturen und Lebensentwürfe sind in Zukunft noch tragbar? Die extreme Rechte macht sich die gesellschaftlichen Verunsicherungen zunutze und erlebt einen enormen Auftrieb. In der wissenschaftlichen Debatte besteht zwar ein breiter Konsens, dass eine sozial-ökologische Transformation notwendig ist. Doch sie wird politisch zunehmend infrage gestellt. Ihre Notwendigkeit wird immer dringlicher, aber ihr Gelingen wird immer ungewisser.
Die Konflikte um die Transformation nehmen je nach gesellschaftlichem Feld (Energie, Wohnen, Mobilität etc.) und geographischem Raum ganz unterschiedliche Formen an. Sie spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab: wie Regionen, Kommunen, Quartiere oder einzelne Gebäude. Ferner sind die Konflikte eingebettet in eine hierarchische Raumstruktur: Zwischen aufstrebenden Metropolen, absteigenden Industriestädten, suburbanen Räumen oder peripheren Dörfern sind vielschichtige Phänomene räumlicher Ungerechtigkeit festzustellen. Die Debatten um Umweltgerechtigkeit weisen darauf hin, dass dabei soziale und ökologische Benachteiligungen eng zusammenhängen. So sind etwa marginalisierte Stadtteile oft nicht nur von sozialer Armut, sondern auch von Verkehrsbelastungen und einem Mangel an Grünräumen geprägt.
Und die Konflikte sind Ausdruck breiterer gesellschaftlicher Entwicklungen: Wir beobachten eine Gefährdung der Demokratie (politische Entfremdung in wachsenden Teilen der Bevölkerung, Aufstieg der extremen Rechten, Postdemokratie). Angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung werden politische Aushandlungsprozesse immer schwieriger. Das zeigt sich in konkreten räumlichen Politiken: Planungskonflikte nehmen zu und eine inklusive, demokratische Stadtentwicklung wird immer herausfordernder.
Die Jahrestagung des Instituts für Europäische Urbanistik soll eine fachliche Diskussion darüber ermöglichen, wie trotz der geschilderten Herausforderungen eine räumlich gerechte Transformation gelingen kann. Wir wollen beleuchten, wie wir – ausgehend von konkreten Fragen der räumlichen Gestaltung und Planung – das Spannungsverhältnis von sozial-ökologischer Transformation und verschärften gesellschaftlichen Krisen besser verstehen können. Wir wollen einen Schritt zurücktreten und aus einer veränderten Perspektive prüfen, wo alte und neue Potenziale für einen gesellschaftlichen Wandel liegen. Die Leitfragen für die Tagung lauten dementsprechend:
- Wie sind die zunehmend schärferen räumlichen Konflikte um die sozial-ökologische Transformation analytisch einzuschätzen? Droht die Transformation angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung zu scheitern oder sind die Kräfte des Wandels stark genug?
- Wie verlaufen die konkreten Aushandlungen in unterschiedlichen städtischen und ländlichen Räumen und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern? Wie gehen Planer*innen, Politiker*innen, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure damit in ihrer Praxis um?
- Welche strategischen Ansätze einer alternativen räumlichen Praxis könnten helfen, den notwendigen ökologischen Umbau zu meistern – und die Transformation so zu gestalten, dass sie räumliche Ungerechtigkeiten überwindet, gesellschaftlich inklusiv wirkt und die Demokratie politisch stabilisiert.
Die Tagung verknüpft kritische Analyse, praktische Erfahrungen sowie konkrete Strategien und Entwürfe räumlicher Gerechtigkeit. Wir initiieren einen transdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus Politik, Planung, Praxis und Zivilgesellschaft, die ein Interesse am Gelingen der Transformation eint. Der Fokus der Tagung liegt auf dem deutschen Sprachraum. Aber sie greift auch Beispiele aus anderen Ländern auf und zeigt Verbindungen zu europäischen und globalen Verhältnisse auf.
Die genannten Fragen wollen wir anhand von drei thematischen Feldern vertiefend diskutieren, die zentral für die Transformation städtischer und ländlicher Räume sind. Diese Felder verstehen wir als miteinander verknüpfte Bereiche einer nachhaltig-gerechten Stadt- und Raumentwicklung.
- Gebaute Umwelt: Der Umgang mit der gebauten Umwelt ist nicht nur entscheidend für den klimaneutralen Umbau, sondern auch zentral für eine gerechte Gestaltung der Transformation. Aber auf unterschiedlichen Ebenen zeigen sich Konflikte und Kontroversen: Stadterneuerung vs. Suburbanisierung; Bestandserhalt vs. Neubau; Zielkonflikte zwischen Denkmal-, Mieter- und Klimaschutz; grüne Gentrifizierung; Einfamilienhäuser und Wohnflächenbedarf; kommunale Wärmewende und Ausstieg aus Gasheizungen. Wie sind diese Auseinandersetzungen einzuschätzen? Welche räumlich gerechten Lösungen sind möglich?
- Landschaftsgestaltung und blau-grüne Infrastrukturen: Die (Um-)gestaltung urbaner und ruraler Landschaften ist politisch. Angesichts des voranschreitenden Klimawandels müssen sie tiefgreifend verändert und resilienter gemacht werden. Doch damit sind viele politische Herausforderungen und Gerechtigkeitsfragen verbunden: Wer hat Zugang zu Wasserressourcen und urbanen Grünräumen? Welche Gruppen profitieren von Klimaanpassung, welche müssen sich einschränken, welche werden vernachlässigt? Wie werden unterschiedliche Nutzungsinteressen und Zielvorstellungen ausgehandelt? Wie ist eine sozial und ökologisch gerechte Gestaltung möglich?
- Mobilität und Städtebau: Der Umbau der autogerechten Städte hin zu einer sozial und ökologisch gerechten Mobilität steht auf der Tagesordnung. Doch in den Kommunen ist der Umstieg auf Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr – und damit die Umgestaltung von urbanen Räumen und Quartieren – zunehmend umstritten. In ländlichen Räumen müssen überhaupt erst noch räumlich und sozial inklusive Mobilitätsangebote jenseits des motorisierten Individualverkehrs geschaffen werden. Wie können die genannten Konflikte und Herausforderungen politisch klug bearbeitet werden? Welchen Beitrag können ganzheitliche städtebauliche Entwürfe leisten?
Wir suchen Beiträge, die allgemein auf die Leitfragen der Tagung oder konkret bezogen auf eines der drei Themenfelder eingehen, die Fachdebatte anregen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse diskutieren. Sowohl wissenschaftliche Beiträge aus verschiedenen Disziplinen als auch fundierte Beiträge aus der gesellschaftlichen Praxis sind willkommen. Bitte senden Sie Ihr Abstract (ca. 2.000 Zeichen) mit kurzen Angaben zu Ihrer Person bis zum 2. März 2025 an: ifeu.jahrestagung[at]uni-weimar.de. Wir informieren Sie im Laufe des April, ob Ihr Beitrag angenommen wurde. Von den Teilnehmer*innen wird eine geringe Tagungsgebühr erhoben.
Ansprechpartner für Rückfragen ist Dr. Hendrik Sander: hendrik.sander@uni-weimar.de