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Rassismusforschung: Bericht der WinRa-Jahreskonferenz 2024 in Bayreuth

Wie lässt sich Rassismus in all seinen Ausprägungen messen? Unter dem Titel „Behind the Data: Quantitative Approaches in Interdisciplinary Racism Research“ tagte die zweite Jahreskonferenz des BMBF-finanzierten Wissensnetzwerks Rassismusforschung (WinRa) vom 23. Oktober bis zum 25. Oktober 2024 an der Universität Bayreuth.

WinRa hat zum Ziel, durch einen forschungsgeleiteten und interdisziplinären Austausch die verstreute und fragmentierte Rassismusforschung in Deutschland strategisch zu stärken.

Inhaltliche wie methodische Fragen nehmen einen zentralen Raum innerhalb des Wissensnetzwerks ein. Darüber hinaus sind zentrale Ziele des Netzwerks Strategien für einen Ausbau der Forschungsinfrastruktur für die Rassismusforschung formulieren und als Ansprechpartnerin für Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Das Wissensnetzwerk Rassismusforschung ist als Verbundprojekt konzipiert. Neben einer Gesamtkoordination und Leitung am DeZIM-Institut in Berlin besteht WinRa aus vier Regionalnetzwerken. Etabliert sind diese an der Universität Bielefeld/Leuphana Universität Lüneburg (Netzwerk West), der Universität Mannheim/Universität Bayreuth (Netzwerk Süd), der Hochschule Magdeburg-Stendal/ Humboldt-Universität zu Berlin (Netzwerk Ost) sowie der Bucerius Law School Hamburg/Universität Hamburg (Netzwerk Nord). https://www.winra.org/ueber-uns/regionalnetzwerke

Die Jahreskonferenz 2024 wurde von den Sprecher*innen des Netzwerks Süd, Prof. Dr. Stefan Ouma (Universität Bayreuth) und Prof. Dr. Irena Kogan (Universität Mannheim), organisiert. Die Konferenz führte ca. 120 Teilnehmende aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen, um innovative quantitative Ansätze in der Rassismusforschung zu diskutieren. Die Konferenz war als grenzüberschreitende Veranstaltung konzipiert – grenzüberschreitend sowohl in Bezug auf Disziplinen, Methoden als auch auf geografische Herkunft der Teilnehmenden. Die internationale Zusammenarbeit und der interdisziplinäre Dialog zeugen davon, wie wichtig solche Plattformen für den Wissenstransfer und die Vernetzung sind.

Die Konferenz wurde von drei ausgezeichneten Vorträgen bereichert. Die Eröffnungsrede von Professor William Darity Jr. (Duke University, USA) zum Thema „Stratification Economics: Identity and Inequality“ war eine brillante Zusammenfassung von Daritys bahnbrechender Arbeit, die wichtige Erkenntnisse darüber liefert, warum dominante Gruppen subalterne Gruppen diskriminieren (für einen Überblick, siehe hier: https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257/jel.20211690). Darity unterstrich, dass er die Vorstellung ablehnt, dass Menschen gegen ihre materiellen Interessen stimmen könnten, da ihr eigenes Verhalten aus der Intersektion mehrerer dynamischer Identitäten resultiert. Bei den US-Wahlen habe etwa „Race“ mehrmals andere Identifikationskategorien wie „Geschlecht“ oder „Klasse“ übertrumpft. Der Vortrag enthielt wichtige Lektionen für Deutschland! Mit seiner Partnerin Kirsten Mullen hat Darity zuletzt das Projekt Economics of Reparations forciert, aus der jüngst die Publikation „The Black Reparations Project: A Handbook for Racial Justice“ (University of California Press) hervorging.

Dr. Dharmi Kapadia, Dozentin für Soziologie an der Universität Manchester und Forscherin am Center for the Dynamics of Ethnicity, hielt die Keynote am zweiten Tag der Konferenz: Ihr Vortrag „Surveying the Effects of Racism“ gab unter anderem Einblicke in die Definition von Rassismus, in die Art und Weise, wie Rassismus im Vereinigten Königreich und in anderen Ländern gemessen wird (oder auch nicht), sowie in methodische Fortschritte bei der Stichprobenerhebung im Rahmen des vom ESRC-finanzierten EVENS-Projekts. Sie offerierte einige wichtige Schlussfolgerungen aus ihrer Forschungsarbeit:

  • Um ethnische Ungleichheiten vollständig zu dokumentieren, anzugehen, zu verringern und zu beseitigen, muss die Erhebung von Daten grundlegend geändert werden.
  • Die etablierten Ansätze der Rassismusforschung liefern oft nicht die Stichprobengröße, den Umfang und die Abdeckung, die für sozialwissenschaftliche Forscher*innen erforderlich sind.

Die letzte Keynote wurde von Professor Dr. Andreas Zick von der Universität Bielefeld gehalten, der maßgeblich an der Entwicklung des Konzepts der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beteiligt war. Er zeigte, dass eine Ideologie der Ungleichheit das zugrundeliegende Bindegewebe zwischen verschiedenen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist, einschließlich Rassismus, Sexismus, Anti-LGBTQ-Feindlichkeit und einigen anderen. Sein Vortrag „The Syndromatic Nature of Group-Focused Enmity and Right-Wing-Extremism“ schlug eine Brücke zum aktuellen deutschen Kontext und dem Aufkommen von Stimmungen, die durch eine Ideologie der Ungleichheit genährt werden, die das rechtsextreme Milieu einschließt, aber auch darüber hinausgeht. Vielmehr ist diese Ideologie fest in der „Mitte der Gesellschaft“ verwurzelt und hat sich in den letzten Jahren noch weiter verfestigt – ein Grund zu großer Sorge!

In Kürze wird das Video der Haupt-Keynote von Professor Darity auf dem WinRa-Youtube-Kanal bereitgestellt, wo Sie auch mehr über die letztjährige Keynote des Soziologen Eduardo Bonilla-Silva erfahren können. https://www.youtube.com/@WinRa_

Die Konferenz glänzte durch viele andere großartige Vortrags- und Postersitzungen, sowie drei spannende Panels. Dr. Tae Jun-Kim vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) moderierte das Panel „Measuring Racism“. Das Panel diskutierte u.a. die Möglichkeiten quantitativer Daten in der Rassismusforschung; Schlüsselthemen der quantitativen Wende in der Rassismusforschung; theoretische Herausforderungen wie das Problem der Messung von Rassismus in seinen strukturellen und institutionellen Dimensionen und konzeptionelle Herausforderungen wie die Operationalisierung von Rassismus oder die Frage, ob Rassismus ein unerwünschtes Beiwerk oder ein integraler Bestandteil gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen ist.

Das zweite Panel, „Rassismusforschung und Big Data: Possibilities, Pitfalls and Politics“ wurde von Dr. Iniobong Essien von der Universität Lüneburg moderiert. Gemeinsam mit seinen Mitdiskutant*innen ging er den folgenden Fragen nach:

  • Was zählt eigentlich als „Daten“ und wird als wichtig erachtet, wenn wir Rassismus untersuchen?
  • Was könnte verloren gehen, wenn sich Forschende nur auf aggregierte Daten konzentriert, und wie können individuelle oder persönliche Erzählungen und Geschichten wichtige Erkenntnisse liefern, die von großen quantitativen Datenmengen nicht geliefert werden?
  • Was sind typische Fragen, die untersucht werden, wenn Forscher*innen Rassismus mit Hilfe von Big Data erforschen?
  • Was haben wir bisher gelernt und welche spezifischen Einblicke kann uns „Big Data“ bei der Untersuchung von Rassismus geben?
  • Inwiefern ist „Big Data“ und die in diesem Zusammenhang verwendeten Methoden begrenzt, und was sind mögliche Fallstricke, wenn „Big Data“ zur Untersuchung von Rassismus eingesetzt wird?
  • Wer sollte über Rassismus forschen und wer nicht und warum?
  • Wie können die von Rassismus betroffenen und benachteiligten Gemeinschaften in den Forschungsprozess einbezogen werden?

Dr. Rahab Njeri (Universität zu Köln) leitete ein Panel zum Thema „Wie man die Welt verändert – Quantitative Rassismusforschung und die Frage der Evidenz“, in dem die Teilnehmer*innen die folgenden Punkte diskutierten:

  • Was zählt als „Evidenz“ und warum wird sie benötigt? Evidenzbasierte Forschung: Möglichkeiten und Fallstricke?
  • Finanzierung von quantitativer und Mixed-Methods-Rassismusforschung: Finanzierungslandschaft, Mechanismen, Lücken?
  • Rassismus-Forschung und politisches Klima: Was sind die Risiken und Chancen quantitativer Rassismusforschung angesichts des zunehmenden Einflusses von rechtsextremen Diskursen?
  • Welche Art der Forschungsstrategie/Daten für welche Art von Veränderung?

Interessierte können sich alle Details des Programms hier anschauen: https://www.winra.org/fileadmin/user_upload/pdf/Landing_Document_WinRa_Conference_2024.pdf.

Die Geographie war leider auf dem gesamten Kongress nur mit 3 Vorträgen vertreten, nur einer davon war aus Deutschland. Dies zeigt, dass gerade auch die geographische Rassismusforschung einer weiteren Institutionalisierung bedarf. WinRa will hierzu einen Beitrag leisten und kuratiert dazu u.a. ein Wissensarchiv (https://www.winra.org/wissensarchiv). Gleichwohl war die Konferenz insgesamt ein voller Erfolg, gerade auch weil insbesondere der wissenschaftliche Nachwuchs stark vertreten war. „Ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs der Konferenz war neben den Keynotes die starke Präsenz von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern, die ihre Forschungsarbeiten in unterschiedlichen Formaten präsentierten“, sagt Dr. Aisha-Nusrat Ahmad (DeZIM-Institut, wissenschaftliche Leitung WinRa). Sie betont: „Um die Zukunft der Rassismusforschung nachhaltig zu stärken, ist es entscheidend, gezielt in die Förderung der jungen Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu investieren und tragfähige Strukturen aufzubauen. Eine Möglichkeit dafür bieten etwa Graduiertenkollegs, die jungen Forschenden nicht nur eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung, sondern auch eine starke Vernetzung und den Austausch bieten.“

Die nächste WinRa-Jahreskonferenz wird am 13. Und 14. November 2025 an der Hochschule Magdeburg-Stendal stattfinden. Für Updates abonnieren Sie bitte den WinRa-Newsletter. Für diesen können Sie sich hier anmelden: https://seu2.cleverreach.com/f/379616-389598/

Foto: Zeynep Demir

Prof. Dr. Stefan Ouma, Universität Bayreuth