Mitteilungen von Verbänden und Institutionen: Auflösung des Verbands der wissenschaftlichen Geographie Österreichs
Der Verband der wissenschaftlichen Geographie Österreichs, kurz Geographieverband, wurde 2009 ins Leben gerufen und hatte ausschließlich institutionelle Mitglieder, nämlich die geographischen Institute oder Fachbereiche der Universitäten Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Wien sowie das Innsbrucker ÖAW-Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung. Anlass für die Gründung war, eine institutionalisierte Vereinigung in der Geographie zu schaffen, die sich auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „außerhalb der Professor:innenkurie“ öffnet (Ermann, U. & D. Simic [2021]: Der Verband der wissenschaftlichen Geographie Österreichs stellt sich vor. In: GeoGraz 68: 36. Siehe auch RUNDBRIEF GEOGRAPHIE 238). Im April 2024 hat die Generalversammlung einstimmig die Auflösung des Geographieverbands beschlossen, die dann Mitte 2024 in Kraft getreten ist. Ulrich ERMANN, der zuletzt den Vorsitz des Verbands innehatte, erläutert im Interview die Hintergründe und spricht über die Bedeutung, die geographischen Verbänden und Vereinigungen im aktuellen Weltgeschehen und im Hinblick auf das Schulfach Geographie zukommen kann.
Welche Themen standen im Mittelpunkt der Arbeit des Geographieverbands und was hat schließlich zur Auflösung des Verbands geführt?
Prof. Dr. Ulrich ERMANN: Der Geographieverband hat sich – ähnlich wie der VGDH – als wissenschaftlicher Fachverband und als Vertretung der Geographischen Institute und deren Wissenschaftler:innen gegenüber Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung etc. verstanden. Schwerpunkte in den vergangenen Jahren lagen auf Nachwuchsförderung, Geschlechtergerechtigkeit und Austausch zu Themen wie Studieninhalte, geographische Bildungsziele und Studienmarketing. Zur Nachwuchsförderung haben wir die „Geographie- Werkstatt“ abgehalten – eine Tagung mit einem spezifisch auf Early Career Researchers zugeschnittenem Format mit internationalen Keynotes, Workshop-Beiträgen, Coaching-Angeboten etc., alle zwei Jahre an einem anderen Standort: erstmals 2014 und zuletzt 2024 erneut in Innsbruck. Nicht zuletzt durch die entsprechende VGDHStudie angeregt, konnten wir eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Hochschulgeographie initiieren. Ergebnisse sind im aktuellen Band der Zeitschrift „MÖGG“ nachzulesen. Der Austausch zu geographischen Bildungsstandards in der Lehre war ein Thema, das
bei der Generalversammlung 2020 in Graz von Teilnehmenden vorgeschlagen wurde und welches wir in Form eines kollaborativ erarbeiteten Diskussionspapiers zu „Leitlinien der wissenschaftlichen Bildung im Fach Geographie an österreichischen Hochschulen und Bildungsstätten“ und dessen Diskussion bei einem Online-Workshop 2021 umgesetzt haben. Für den Vorstand unerwartet, wurde dieses Papier von einigen Kolleg:innen sehr kritisch bis ablehnend aufgenommen. Kritisiert wurde einerseits, dass das Papier keine Relevanz habe, und andererseits, dass es hochschul- und disziplinpolitisch gefährlich sei, ein solches Papier zu veröffentlichen. Es wurde wohl auch befürchtet, dass mit dem Papier Leitlinien für die geographische Bildung vorgegeben würden, auch wenn die Zielsetzung darin bestand, Anregungen und Argumentationshilfen – etwa bei der Reform von Curricula oder auch bei der Begründung für die Relevanz geographischer Studiengänge – zu bieten. Jedenfalls wollten nicht alle Institutsleitungen das Dokument mittragen. Nach meiner Einschätzung hat dies letztlich zu einer Legitimationskrise des Verbands geführt. Das Problem war dabei jedoch schon in der Konstituierung des Verbands angelegt: Der Verband hatte seit seiner Gründung nur institutionelle Mitglieder, also ausschließlich die Geographischen Institute, keine Personen. Die Institute entsandten Delegierte in die Generalversammlung, in der diese einen Vorstand wählten, der alle Institute repräsentierte. Als dann das Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien im Herbst 2023 trotz mehrfacher Umstimmungsversuche unseres Vorstands seinen Austritt aus dem Verband bekannt gab und kurze Zeit später auch die Abteilung für Physische Geographie der Universität Salzburg mit einer Austrittserklärung folgte, sahen wir im Vorstand nicht mehr die notwendige Legitimation, um für die österreichische Hochschulgeographie sprechen zu können.
War das der Grund, den Verband aufzulösen? Gab es noch andere Optionen?
ERMANN: Es war schon der Grund dafür, dass wir an einem bestimmten Punkt keine andere Möglichkeit mehr gesehen haben. Wir haben unter anderem geprüft, ob es nicht möglich wäre, von
einer institutionellen auf eine individuelle Mitgliedschaft zu wechseln. Es hat sich dann im Vorstand aber die Meinung durchgesetzt, dass eine Finanzierung durch individuelle Mitgliedschaft unrealistisch wäre – und ohne eine Geschäftsführung (mit geringfügiger Beschäftigung) wäre eine Weiterführung vom administrativen Aufwand her nicht machbar gewesen. Man muss dabei aber schon auch sagen, dass kein starkes Commitment mehr zum Verband seitens der einzelnen Wissenschaftler:innen an den Instituten bestand. Ich hatte zwar den Eindruck, dass die Geographie- Werkstatt diesbezüglich durchaus eine positive Wirkung erzielte, aber letztlich gab es wohl nur relativ wenige Kolleg:innen, denen der Verband wichtig war. Es war sicherlich 2009 eine gute Idee, mit dem Geographieverband in Nachfolge eines exklusiven „Ordinarientreffens“ eine Austauschplattform und eine Interessenvertretung für alle in der wissenschaftlichen Geographie in Österreich tätigen Mitarbeiter:innen zu schaffen, nur leider ist dies meines Erachtens nie so ganz gelungen. Den Vorstandsmitgliedern ist der Schritt zur Auflösung jedenfalls sehr schwergefallen, aber zuletzt schien er uns alternativlos. Es ist schade, weil der gesamte Vorstand sehr engagiert und mit vielen guten Ideen bei der Sache war. Ich kann für mich persönlich aber sagen, dass ich die Arbeit im Verband unter dem Strich als sehr bereichernd empfunden habe.
Werden Aktivitäten des Geographieverbands nun anderweitig fortgeführt?
ERMANN: Das wäre schön, aber die Auflösung eines Verbands ist doch primär mit der Einstellung von Aktivitäten verbunden. Die Mailingliste wurde nicht fortgeführt, die Website ist vom Netz, und das restliche Geld, das noch auf dem Vereinskonto war, wurde den österreichischen Studienrichtungsvertretungen für Geographie zur Verfügung gestellt. Bei der Diskussion zur möglichen Auflösung des Verbands in der Generalversammlung wurde mehrfach der ausdrückliche Wunsch geäußert, zumindest die Geographie-Werkstatt fortzuführen. Ich würde das sehr begrüßen, wenn es hierzu vonseiten der Institute eine Initiative zur Ausrichtung geben sollte.
Selbstverständlich ist es auch unser Wunsch – ich spreche hier bestimmt auch im Namen aller Kolleg:innen, die in den letzten Jahren im Vorstand tätig waren –, dass andere Organisationen bestimmte Aktivitäten fortführen können. Ich denke dabei in erster Linie an die Österreichische Geographische Gesellschaft (ÖGG), die mit ihren rund 1300 Vereinsmitgliedern über eine starke Basis verfügt. Aber auch an den VGDH, der sich ja seit seiner Umbenennung als Vertretung der „Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ versteht. Wenn es um Austausch im deutschsprachigen Raum geht, kann das gut funktionieren, aber wenn es zum Beispiel um das österreichische Schulfach „Geographie und wirtschaftliche Bildung“ geht und um institutionelle Rahmenbedingungen der Politik oder etwa der Forschungsförderung, dann sind die Einflussmöglichkeiten des VGDH eher gering einzuschätzen – ganz abgesehen davon, dass das Interesse der österreichischen Hochschulgeographie am VGDH doch weitgehend auf
die in Österreich tätigen deutschen Kolleg:innen beschränkt sein dürfte.
Vor welchen Herausforderungen steht das Schulfach „Geographie und wirtschaftliche Bildung“ und welche Bedeutung kann ein geographischer Fachverband dabei spielen?
ERMANN: Das Schulfach hat gerade auch in der österreichspezifischen Kombination meiner Meinung nach ein riesiges Potenzial, die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu erkennen, die „großen Zusammenhänge“ etwa zwischen ökonomischen und ökologischen Prozessen und zwischen verschiedenen Maßstabsebenen zu behandeln. Dazu braucht es kontinuierliche Anstrengungen, Fachinhalte und didaktische Ansätze. Fachverbände könnten eine wichtige Rolle spielen, um solche Anstrengungen zwischen den Instituten abzustimmen. Das bräuchte gar keine gemeinsame Koordination sein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die einzelnen Institute und Curriculakommissionen ein paar Ideen voneinander abschauen und in einen Austausch treten würden. Dass das dem Geographieverband nicht gelungen ist, heißt ja nicht, dass es nicht geht, aber ich bin nach meinen Erfahrungen – unter anderem mit dem genannten Diskussionspapier – diesbezüglich, naja, sagen wir einmal: skeptisch. Neben den fachlichen und didaktischen Inhalten lässt sich feststellen, dass die Finanzierung unserer Institute in erster Linie von den Studierendenzahlen abhängt und diese wiederum zum größten Teil auf die Lehramtsstudiengänge
entfallen. Das Schulfach „Geographie und wirtschaftliche Bildung“ (GW) sieht sich regelmäßig Bemühungen vonseiten der Wirtschaftsverbände und der Finanzlobby ausgesetzt, ein eigenes Schulfach „Wirtschaft“ – ohne Geographie – zu etablieren, das weniger „kritisch“ und „integrativ“ und somit „wirtschaftsfreundlicher“ angelegt ist. Insbesondere die ÖGG-Fachgruppe „Geographische und Sozioökonomische Bildung“ (GESÖB) hat sich immer sehr engagiert gegen solche Bestrebungen eingesetzt. Akut steht das Schulfach GW zum Glück nicht zur Disposition, aber es ist anzunehmen, dass es künftig erneut infrage gestellt werden wird.
Im Februar 2025 appellierten mehr als tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Österreich dafür, die Freiheit von Forschung und Lehre, demokratische Werte und Menschenrechte in Österreich zu wahren.
Auch Sie haben den offenen Brief unterzeichnet. Was war der Anlass des Aufrufs?
ERMANN: Man muss ja nur einen Blick ins benachbarte Ungarn werfen – oder ganz aktuell in die USA –, um zu sehen, wie reaktionäre, rechtsnationale und rechtsextreme Regierungen Freiheit und Demokratie zerstören. Und wie besonders Klimaforschung oder Gender Studies unter Beschuss geraten, wie es ja auch in der wichtigen Stellungnahme des VGDH deutlich gemacht wurde. Anfang Februar musste man davon ausgehen, dass es in Österreich erstmals zu einer von der rechtsextremen FPÖ geführten Regierung kommt. Die Ankündigungen während der Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP in Richtung Universitäten ließen das Schlimmste befürchten – ganz generell für Österreich, aber eben auch eine wissenschaftsfeindliche Politik mit Einschränkungen der Freiheit von Forschung und Lehre. Zum Glück konnte keine Einigung für eine solche Koalition erzielt werden. Unter der jetzt angelobten Regierung (Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen) sind wohl keine größeren Disruptionen in Forschung und Lehre an den Universitäten zu befürchten. Gleichwohl hat die wissenschaftsfeindliche FPÖ rund 30 Prozent der Stimmen bei der letzten Nationalratswahl erhalten und stellt dementsprechend die größte Fraktion im Parlament. Insofern wäre es fatal, sich in dieser Situation beruhigt zurückzulehnen.
Die Fragen stellte Franziska KRACHTEN.
Ulrich ERMANN ist seit 2012 Professor für Humangeographie unter Berücksichtigung der Fachdidaktik an der Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich einer geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Geographie des Ökonomischen im Schnittfeld von Kulturgeographie und Wirtschaftsgeographie. Die regionalen Forschungsschwerpunkte liegen in Österreich, Deutschland und Südosteuropa sowie seit jüngerer Zeit auch in Indonesien.