Veröffentlichungen

Rundbrief Geographie Heft 312

Veröffentlicht im Rundbrief 312

Bericht: AK Medizinische Geographie und geographische Gesundheitsforschung

Jahrestagung

Die 13. Humboldtsteiner Tage fanden vom 19. bis 21. September 2024 im Arbeitnehmerzentrum Königswinter (AZK) statt – und damit zum zweiten Mal seit 1998 nicht im namensgebenden Haus
Humboldtstein. Unter dem Leitthema „Gesundheitliche Ungleichheiten in einer Welt im Wandel“ stellten 26 Referent*innen in sieben thematischen Sitzungen aktuelle Forschungsarbeiten vor.

Zu Beginn der Sitzung nahm der ehemalige Arbeitskreissprecher Thomas KISTEMANN die Teilnehmer* innen mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Unter Verwendung zahlreicher Bilder erinnerte er an die Tagungen des Arbeitskreises im Haus Humboldtstein, die für den Arbeitskreis in den geraden Jahren, in denen kein DKG stattfindet, zu einem etablierten und beliebten Austauschforum geworden ist. Nachdem das Haus während der Covid-19-Pandemie seine Pforten schließen musste, fand die letzte Jahrestagung des AKs (ohne DKG-Einbettung) 2022 im Geographischen Institut der Universität Bonn statt. Auch wenn die Tagung im universitären Kontext einen eigenen Charme besaß, fehlte das verbindende Element, das eine gemeinsame Unterbringung in einem Tagungshaus mit sich bringt. Da das Fazit der Teilnehmer*innen nach der ersten Jahrestagung im AZK sehr positiv ausfiel, sind wir zuversichtlich,
ein neues dauerhaftes Zuhause für die „Humboldtsteiner Tage“ gefunden zu haben.

In der ersten inhaltlichen Sitzung stellten die Referent*innen Arbeiten zur Krankheitsökologie übertragbarer Erkrankungen vor. Christoph HÖSER stellte zu Beginn eine Analyse zur Entwicklung von Covid-19- Inzidenzen in Abhängigkeit von Pendlerverflechtungen innerhalb eines Landkreises dar. Eine aktuelle Arbeit des RKI stellte Christina FRANK vor, die sich mit importierten Infektionen von Medizintourist*innen infolge von Botox-Behandlungen befasste. Einen weiteren Beitrag zur Analyse der Covid-19-Pandemie leistet die von Hannah STEPHAN vorgestellte Studie, die sich mit der Auswirkung von Luftfiltern auf das Infektionsgeschehen in Kindertagesstätten beschäftigte. Dennis SCHMIEGE stellte seine Arbeiten zum Abwassermonitoring vor – eine Methode, die ebenfalls im Zuge der Covid-19-Pandemie einen großen Bedeutungszuwachs erfuhr. Abschließend stellte Holger SCHARLACH seine
Erfahrungen aus einem Workshop vor, in dem sich Teilnehmer*innen mit Dashboards als Informationstools für die Öffentlichkeit auseinandergesetzt hatten.

Am späteren Nachmittag erfolgte zunächst die Verleihung des Forschungspreises Geographische Gesundheitsforschung, der durch den Verein zur Förderung der Geographischen Gesundheitsforschung ausgelobt wird. Der Vereinsvorsitzende Thomas KISTEMANN überreichte Jana BOLTERSDORF den Preis für die beste Bachelorarbeit, die sie an der Universität Jena angefertigt hat und die den Titel „Psychisches Wohlbefinden im Wohn- und Arbeitsumfeld in deutschen Kleinstädten im Kontext zunehmender Hitzewellen: Das Fallbeispiel Eisenberg“ trägt. Für die beste Masterarbeit erhielt Teodora STOJANOVIC den Forschungspreis. Ihre Arbeit trägt den Titel „Building health system resilience to environmental risks in Serbia: Actors, roles and challenges.” Zum Abschluss des ersten Veranstaltungstages fand die Geschäftssitzung des AKs statt, in der das Sprecherteam über laufende Aktivitäten des AKs berichtete. Neben den sehr aktiven Arbeitsgruppen zu „Ethikprüfungen” und „gesundheitsgeographische Lehre“ entstanden zahlreiche gemeinsame Publikationen, unter anderem die „Gute Praxis Erreichbarkeitsanalyse“ oder das Themenheft „Planetary Health“ in der GEOGRAPHISCHEN RUNDSCHAU.

Die erste Sitzung des zweiten Veranstaltungstags stellte den demographischen Wandel in das
Zentrum des Erkenntnisinteresses. Zunächst berichtete Sebastian KLÜSNER über Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zu räumlichen Mortalitätsunterschieden. Theresa PETZOLD stellte ihre Arbeit zum Zugang zu Palliativversorgung dar, die in einer alternden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Abschließend berichtete Ulrike DAPP über einen neu entwickelten Score zur prospektiven Beurteilung des Gesundheitsstatus älterer Menschen.

In der zweiten Sitzung des Vormittags wurden zusätzlich Online-Gäste willkommen geheißen. Inhaltlich standen die Vorträge unter dem Leitthema Urbane Gesundheit. Jonas PIEPER stellte
in seinem Vortrag eine datenbasierte kleinräumige Stadtraumanalyse von Stressoren und gesundheitsfördernden Elementen vor. Tobia LAKES präsentierte online Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Aktivitätsräumen Jugendlicher vor, in dem es um die Förderung gesunder Lebensbedingungen geht. In ihrem gemeinsamen Vortrag diskutierten Carsten BUTSCH und Kevin BECKER eine neu entwickelte Typologie von Gesundheitsverständnissen, die das Verständnis von Gesundheitspraktiken in kulturell diversen Stadtquartieren verbessern kann.

In der dritten Sitzung des Tages, ebenfalls online, hatten die Vorträge die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise zum Inhalt. Andreas NEUNER und Blake WALKER präsentierten ihre Arbeit zu resilienzstiftenden Orten. Hierbei gehen sie der Frage nach, ob der Klimawandel in bestimmten Places, zu denen sie unter anderem auch Vereine zählen, als Bedrohung wahrgenommen wird. Jaqueline HILDEBRAND berichtete über die Wahrnehmung des Klimawandels im Primary Healthcare Sektor in Accra, wo vor allem traditionelle Mediziner*innen das Thema als dringlich wahrnehmen. Thomas CLASSEN und Lea ANTOINE stellten in einem gemeinsamen Vortrag ihre Arbeit im Landesgesundheitszentrum NRW vor, in der sie Kommunen ganz praktisch bei der Anpassung an den Klimawandel beraten. Konzeptionell beschäftigte sich Joachim RATHMANN im letzten Vortrag mit der ökologischen Krise, die – so seine These – auch aufgrund einer Zunahme narzisstischer Störungen als Kränkung empfunden wird.

Nach der Mittagspause standen Arbeiten aus den Bereichen OneHealth und Planetary Health auf dem Programm. Susan THOMSCHKE stellte die konzeptionellen Ansätze des Projekts T!Raum vor, dessen Ziel es ist, Vorpommern zu einer OneHealth-Region zu entwickeln. In dem Vortrag von Morten RAHMEN wurde erörtert, in wieweit Methoden des Earth System Modelling für Fragen aus dem Bereich Planetary Health nutzbar gemacht werden können. Klaus GEISELHART erörterte in seinem Vortrag die politische Bedeutung von Gesundheit in der Großen Transformation, wobei er Gesundheit – als politisch konstruiert – als Gegensatz zu Krankheit – als individuellem Leiden – konzeptualisierte.

Im Anschluss an die Sitzung und nach dem obligatorischen Gruppenbild brach die Gruppe zu einem gemeinsamen Spaziergang zum Drachenfels auf. Neben der Gelegenheit zum persönlichen Austausch gab es auch fachliche Inputs zur Entstehung und Geschichte des Siebengebirges, die Thomas CLASSEN vorbereitet hatte.

Am letzten Sitzungstag standen zwei Fachsitzungen auf dem Programm. Direkt nach dem Frühstück befassten sich Vorträge mit dem Bereich Gesundheitssystemforschung. Zunächst diskutierte Sebastian RAUCH die Ergebnisse eines Projekts, das sich mit Zugangsbarrieren zu kinderärztlicher Versorgung in Bayern befasst, wobei ein komplexes Verständnis von Zugang zugrunde gelegt wurde und unter anderem, die zeitliche Variation in der Auslastung kinderärztlicher Praxen analysiert wurde. Boris KAUHL
stellte in seinem Vortrag den von ihm entwickelten Gesundheitsatlas der AOK Nordost vor, der als Online-Dashboard konzipiert ist und eine kleinräumige Darstellung unterschiedlicher Erkrankungsmuster zulässt. Besonders innovativ sind hierbei sowohl die Möglichkeit der Verknüpfung mit anderen Datenbasen, etwa dem sozioökonomischen Status, oder die prognostizierte zukünftige Entwicklung der Krankheitslast aufgrund der prognostizierten Veränderung der Bevölkerungsstruktur (https://aok-nordost-forum.de/aok-nordost-gesundheitsatlas/ ). Sebastian SPECHT befasste sich in seinem Vortrag mit den Herausforderungen, die sich bei der Entwicklung eines Modells zur grenzüberschreitenden Darstellung des Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen in der deutsch-niederländischen Region Ems-Dollart ergaben. Im letzten Vortrag der Sitzung stellte Dilan KARETAS Ergebnisse ihres Forschungsvorhabens vor, in dem Care Arrangements in strukturschwachen Regionen Brandenburgs untersucht werden. Beeindruckend legte sie dar, wie lokale Akteur*innen auf die strukturellen Defizite reagieren, die Care-Arbeit immer stärker zu einer privaten Aufgabe machen.

In der letzten Sitzung der Tagung wurden noch einmal aktuelle Arbeiten aus dem Bereich Stadtgesundheit erörtert. Carmen ANTHONJ gab als erste Referentin einen Überblick über die vielfältigen laufenden Arbeiten ihrer Gruppe an der University of Twente. Timo FALKENBERG stellte die Arbeiten der Arbeitsgruppe „Green Balance“ vor, die in unterschiedlichen Teilprojekten die positiven und negativen gesundheitlichen Effekte urbaner Grünflächen bilanzieren. Abschließend diskutierte Johanna GRÜNEWALD erste Ergebnisse ihres Dissertationsvorhabens, das sich mit dem Einfluss urbaner Grünflächen auf mentale Gesundheit beeinflusst, wobei sie die unterschiedlichen Qualitäten urbaner Grünflächen differenziert betrachtet.

In einer kurzen Reflexionsrunde zum Abschluss der Tagung äußerten sich die Teilnehmer*innen positiv über den neuen Tagungsort, sodass durch das Sprecherteam bereits die Räumlichkeiten im AZK für die Jahrestagungen 2026 (17. bis 19. September) und 2028 (21. bis 23. September) reserviert wurden. Aufgrund des Ausfalls des DKG 2025 findet eine kleine Jahrestagung des Arbeitskreises vom 18. bis 19. September im Niedersächsischen Landesgesundheitsamt in Hannover statt. Wenn Sie Interesse an der Arbeit des AK haben, laden wir Sie herzlich ein, sich unverbindlich in die Mailingliste des AK einzutragen (https://med-geo.de/index.php/newslettermailingliste/)

Carsten Butsch, Timo Falkenberg und Holger Scharlach