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Rundbrief Geographie Heft 302

Veröffentlicht im Rundbrief 302

Editorial: Aus dem Maschinenraum des DKG

Liebe Leserinnen und Leser,

die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) und die Institute für Humangeographie sowie Physische Geographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main laden vom 20. bis 23. September 2023 zum 62. Deutschen Kongress für Geographie nach Frankfurt ein. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Vor bald sechs Jahren hatten wir der DGfG unsere Zusage für die Ausrichtung des Kongresses im September 2021 gegeben. Es kam bekanntlich anders; die Pandemie hatte auch die DKG-Planungen fest im Griff. 

Nach vier Jahren Pause soll der DKG‘23 ein lebendiger Kongress werden, der spontane Interaktion zulässt, informelle Kommunikation während gemeinsamer Kaffeepausen ermöglicht und neben dem wissenschaftlichen Austausch auch als Fest des kollektiven Wiedersehens und Kennenlernens gefeiert wird. Offensichtlich sind wir mit diesem Wunsch nicht alleine. Zum aktuellen Zeitpunkt notiert unsere Konferenzmanagementsoftware über 1500 Beiträge in mehr als 400 Sitzungen. Noch nicht enthalten sind viele Arbeitskreissitzungen, einige Lectures und die Veranstaltungen des Jungen Kongresses für Geographie, den die Studierenden des Fachs zurzeit organisieren. Ob die sich abzeichnende große Beteiligung nur durch pandemischen Vortragsstau und die postpandemische Lust auf Begegnung zu erklären ist?

Vielleicht liegt es auch einfach an der zentralen Lage des Ausrichtungsorts. Nach 1883 und 1951 findet 2023 der Deutsche Kongress für Geographie bereits zum dritten Mal in Frankfurt statt. Auch der Vorläufer der Geographentage – so der Titel der Veranstaltung von 1881 bis 2013 – wurde 1865 unter dem Namen „Versammlung Deutscher Meister und Freunde der Erdkunde“ in Frankfurt durchgeführt. Die Umbenennung der Kongresse spiegelt die Dynamik der Geographie vor dem Hintergrund des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels wider. Sie zeigt auch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten dieses Wandels an. Soziologentage wurden bereits 1995 in „Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ umbenannt. Der „Deutsche Historikertag“ ist auch heute noch sprachlich auf männliche deutsche Historiker beschränkt. Die Kongresse selbst wandeln sich dabei stetig, und ebenso wir werden vieles ähnlich, aber einige Dinge auch anders machen als bislang.

Erstens haben wir uns entschieden, auf eine inhaltliche Strukturierung durch vorgegebene Leitthemen zu verzichten. Ganz bewusst wollten wir der Scientific Community selbst die Entscheidung überlassen, welche Themen in der Zeit der Pandemie wichtig geworden sind und diskutiert werden müssen. Nach dem Ende des Call for Papers zeigt sich aber, dass schon das Tagungsmotto zu einer thematischen Fokussierung des Kongresses führen wird. „Planetary Futures. Über Leben in kritischen Zeiten“: Den leicht dystopen Unterton des Themas kann man auch optimistisch interpretieren. Vielleicht ist die verhältnismäßig hohe Beteiligung auch darauf zurückzuführen, dass die interdisziplinäre Fachöffentlichkeit der Geographie ganz besonders zutraut, sich mit der Zukunft der Erde als Ort planetarischen Lebens wissenschaftlich auseinanderzusetzen und zur Lösung unserer ökologischen und gesellschaftlichen Vielfachkrisen beizutragen.

Zweitens hatten wir mit unserem Aufruf zur Vortragseinreichung angekündigt, alle Vortragsangebote anzunehmen. Wir wollten sicherstellen, dass insbesondere Nachwuchswissen­schaft­ler­*innen nach der pandemischen Unterbrechung die Möglichkeit gegeben wird, ihre Arbeiten auf der größten und fachpolitisch bedeutsamsten geographischen Konferenz im deutschsprachigen Raum zu präsentieren. Die Gestaltung des DKG als egalitäre Plattform und die Verlagerung der Qualitätskontrolle in die Tagung selbst birgt Risiken. Wir sind jedoch bereit, die Überraschungen des Kongresses – positiv wie negativ – auszuhalten. 

Drittens haben wir das Vortragsprogramm des DKG auf drei Tage konzentriert. Die Nachteile einer größeren Anzahl paralleler Sessions sehen wir durch die erwarteten Vorteile mehr als kompensiert: Keine ausgedünnten und unattraktiven Randzeiten, mehr Möglichkeiten zum fachlichen und informellen Austausch und schließlich eine Reduktion der Kosten, die uns vergleichsweise stabile Kongressgebühren ermöglichte. 

Viertens schließlich haben wir früh entschieden, keine internationalen Keynote-Speaker einzufliegen. Die Gefahr kurzfristiger, infektionsbedingter Absagen erschien uns als zu groß und eine Verlegung von Lectures in den digitalen Raum wollten wir unter allen Umständen vermeiden. Schließlich – und dessen waren und sind wir uns sicher – soll der DKG ein Präsenzkongress sein. Gerne haben wir damit die Lectures aufgewertet, die von Zeitschriften und Arbeitskreisen organisiert werden. Was sich in unserem Fall zunächst organisch ergeben hat, scheint uns ein möglicherweise wichtiger Baustein für zukünftige Kongresse zu sein. Denn wenn der wissenschaftliche Austausch vor allem über Arbeitskreise und Zeitschriften organisiert ist, sollten diese Institutionen auch maßgeblich die inhaltliche Ausgestaltung der Kongresse mitbestimmen. Die Lecture-Sessions werden die klassischen Keynote-Zeiten bespielen. Sie werden auf 45 Minuten beschränkt, wodurch zwei direkt aufeinander folgende Zeitslots möglich wurden. Durch die thematisch abgestimmte, überschneidungsfreie Platzierung von maximal drei parallel stattfindenden Lectures wird zudem die Sichtbarkeit der Vorträge sichergestellt, eine breite Teilnahme ermöglicht und nebenbei die Logistik des Mittagessens erleichtert. Gerade weil die kurze Vortrags- und Diskussionszeit eher den Rhythmen von Twitter und TikTok folgt, sind wir auf das Ergebnis des Experiments gespannt.

Wie vermutlich alle Ausrichter vor uns fragen wir uns an gar nicht wenigen Tagen etwas ratlos, wie wir vor sechs Jahren auf die irrwitzige Idee kommen konnten, der Organisation des Kongresses zuzustimmen. Der besondere Kostendruck in Frankfurt – Miete der universitätseigenen Räume im fast sechsstelligen Bereich und steuerliche Behandlung des Personalaufwands – setzt einer Externalisierung der Kongressorganisation enge Grenzen. Nur durch „sweat equity“, wie es in der Start-up-Sprache heißt, und den Verzicht auf Vollkostenrechnung können wir günstige Kongresstickets aufrechterhalten. Wenn in der unternehmerischen Universität akademische Leistung jedoch nur noch in Drittmitteln und Zitationen gemessen wird, kann sich ein Institut den unbilanzierten Arbeitseinsatz von Professor*innen und wissenschaflichen Mitarbeiter*innen zur Vermeidung von Kongressagenturkosten nicht mehr leisten. Das Überleben des DKG ist ernsthaft gefährdet. Darüber muss sich das Fach verständigen. Eine Möglichkeit wäre, dass der DKG zentraler von der DGfG organisiert wird. Dies würde sowohl die Institute entlasten, als auch zu einer Professionalisierung beitragen können. Und: Aus Fehlern, die man notwendigerweise bei der ersten Durchführung eines solchen Kongresses macht, würde gelernt. Das ist im Moment nicht der Fall. Wir eignen uns regelmäßig Kompetenzen für ein singuläres Event an. Das ist wenig effizient, führt nicht zu einer Verbesserung der Veranstaltung, sorgt aber bei den Organisatoren verlässlich für die Erfahrung serieller Frustration. Denn es wäre für die Zukunft unseres Faches wichtig, wenn der DKG die „kritischen Zeiten“ überleben würde: als wichtiger Ort für den Austausch aktueller Forschungsergebnisse, als fachpolitisches Event und identitätsstiftendes Festival, als Begegnungsstätte von Wissenschaft und Öffentlichkeit, als performativer Raum, in dem sich die ganze Vielfalt der Geographie realisiert. Deswegen hatten wir einst der Ausrichtung zugestimmt und deswegen freuen wir uns darauf, Sie und Euch in Frankfurt begrüßen zu dürfen.

Marc Boeckler & Robert Pütz 

für das Organisationsteam des DKG‘23