Qualitative Methoden: alte Wege, neue Pfade
PD Dr. Anna-Lisa Müller (IKG, Universität Bielefeld & Universität Passau), PD Dr. Jeannine Wintzer (Universität Bern)
Am 11. und 12. März 2024 trafen sich Personen aus Wissenschaft und Praxis im Tagungshaus „Haus am Steinberg“ in Goslar, um im Rahmen der 8. Jahrestagung des AK Qualitative Methoden über das Fokusthema Qualitative Methoden: alte Wege, neue Pfade zu diskutieren. Für einen zweiten Schwerpunkt wurden Themen außerhalb des Fokus ausgewählt, um die Debatte zu eröffnen und allgemeine Aspekte der qualitativen Methoden in der Geographie und raumsensiblen Sozial- und Kulturforschung zu diskutieren. Darüber hinaus stellten Forschende im inzwischen bewährten Format der Work in Progress Progress-Sessions laufende Forschungsarbeiten vor; in Kleingruppen konnten diese Arbeiten intensiv besprochen und die Forschenden hinsichtlich methodischer und methodologischer Überlegungen und empirischer Daten ihrer Forschungsarbeit beraten werden. Das Programm bot auf diese Weise wieder einmal einen fokussierten und gleichzeitig die Vielfalt des Feldes abbildenden Einblick in qualitative Forschung innerhalb der Geographie und angrenzender Disziplinen, der auch Raum bot, aktuellen Themen und Entwicklungen in der empirischen Sozialforschung und ihrer Rolle in Wissenschaft und Praxis nachzuspüren.
Die Vorträge des Fokusthemas Qualitative Methoden: alte Wege, neue Pfade adressierten und reflektierten die Anwendung von qualitativen Methoden unterschiedlicher Art und ihre Passfähigkeit für ausgewählte Forschungskontexte. Dabei wurden in allen Beiträgen auch eigene, laufende Forschungen vorgestellt und die kritische Bestandsaufnahme des vorhandenen Repertoires qualitativer Forschungsmethoden an ihnen vorgenommen. So diskutierte Tom Meyer (Ruhr-Universität Bochum) in seinem Vortrag „Vermüllt und vergessen? Typen des Raumwirkens auf mentales Wohlbefinden in kontextuell benachteiligenden Quartieren“ nicht nur das Potenzial von walk-alongs und sit-in-Interviews, sondern auch die Verantwortung der Forschenden bei der (Re-)Produktion von sozialräumlichen Stigmatisierungen. In ähnlicher Weise argumentierten Janine Bittner & Janina Kempchen (Ruhr-Universität Bochum & Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe), die in ihrem Vortrag „Aspects of social diversity in a community-based research project on poverty and homelessness: experience, working in heterogeneous teams and learning processes“ die Wirkung von Forschung für die Forschenden, in diesem Fall Studierende, aufzeigten.
Anna Grabowski (TU Dresden) stellte unter dem Titel „Umgänge mit dem Verdeckten. Methodische Überlegungen aus dem Feld der transnationalen Augenhornhautspende in Sri Lanka“ ihre laufende Forschung in einem auch forschungsethisch sensiblen Bereich vor und warf Fragen des Feldzugangs und der Methodenwahl zur Untersuchung von Narrativen auf. Mit dem Vortrag von Angelina Göb (Leibniz Universität Hannover), „Doing Cohesion Together. Zur Produktion von Performativität in der Partizipation“, wurde das Thema der partizipativen Forschung in den Mittelpunkt gerückt, während Christina Rutka (Hochschule RheinMain) in ihrem Vortrag „Bikesharing – eine praktische* Alternative? Soziale Praktiken treffen quantitative Daten” diskutierte, auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen sich qualitative und quantitative Datenerhebungen produktiv kombinieren lassen. Janine Bittner & Janina Kempchen (Ruhr-Universität Bochum & Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe) stellten schließlich in ihrem Vortrag „Changes of geography student’s perception of housing with the transition from school to university“ Ergebnisse eines Lehrforschungsprojektes vor, das aufzeigte, wie man sich unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie mithilfe von qualitativen Methoden den Raumproduktionsprozessen und ihre Veränderungen von Studierenden nähern kann.
Auch Fragen nach angemessenen Kombinationen von Forschungsmethoden und nach der Bedeutung von KI/AI und Programmen wie ChatGPT für Datenerhebung und insbesondere Datenauswertung und -aufbereitung wurden diskutiert, so etwa von Lena Greinke (Leibniz Universität Hannover) in ihrem Vortrag „Fotografie und Künstliche Intelligenz als qualitative Erhebungsmethoden“ und Saskia Griffig und Ann Marie Krewer (Hochschule Niederrhein), zusammen mit ihren Kolleginnen Anna Herzog und Angelika Krehl, in ihrem Vortrag „Mixed-methods und mixing methods: Integrierte Bezugsraumprofile als Ansatz zur Erforschung von Mensch- Raum-Resonanzen im Feld Sozialer Innovationen”. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der qualitativen Forschung in der Geographie wurden von Frank Meyer (TU Dresden) vorgestellt, der unter dem Titel „Visualisierungen in der geographischen Forschung. Einblicke in das DFG-Netzwerk ‚Visualisierung qualitativer Geographien‘“ die im Rahmen eben dieses DFG-Netzwerks entwickelte Methodbox vorstellte, eines online-Werkzeugkoffers für qualitativ Forschende.
In den Sessions wurde durch die Vorträge und die Diskussionen zum einen deutlich, wie hoch die Sensibilität der Forschenden ist, für den jeweiligen Untersuchungsgegenstand die passende Forschungsmethode zu finden und auf welche Weise hier immer wieder Reflexions- und Anpassungsschleifen vorgenommen werden, um dies zu gewährleisten. Außerdem ermöglicht es, so wurden in vielen Beiträgen deutlich, gerade die Kombination unterschiedlicher, sowohl etablierter als auch neuer und noch nicht so oft erprobter, Methoden, gegenstands- und forschungsfragenbezogen zu forschen. Auf welche Weise neuere Entwicklungen im Bereich KI/AI gerade auch den Bereich der Aufbereitung und Auswertung von Daten unterstützen können oder vor neue Herausforderungen stellen werden, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beantworten und wird Thema weiterer Diskussionen innerhalb und außerhalb des AK sein.
Im Rahmen dreier parallellaufender Work in Progress-Sessions wurden in Goslar schließlich auch noch laufende Forschungsarbeiten diskutiert (Sabine Hostniker (Universität Graz) & Frank Meyer (TU Dresden); Anna-Lisa Müller (Uni Bielefeld/Uni Passau); Janek Becker (TU Dortmund); Christoph Hedtke (FH Erfurt); Alexander Krahmer, Christoph Hedtke & Maria Budnik (FH Erfurt)). Hier hatten die Forscher*innen Gelegenheit, ihr empirisches Material, ihr Forschungsdesign, aber auch methodische und methodologische Fragen zu diskutieren und kollegial beraten zu werden.
Ergänzt wurde das Tagungsprogramm durch einen walk & talk am Montagnachmittag, der den Teilnehmer*innen die Gelegenheit gab, auf andere Weise miteinander ins Gespräch zu kommen, das Gehörte und Diskutierte zu rekapitulieren und dabei auch die Landschaft rund um das Tagungshaus Goslar zu erkunden.
Neben den fachlichen Vorträgen und der inhaltlichen Diskussion diente dieses Treffen des Arbeitskreises auch der Vernetzung, des Informationsaustausches und der gegenseitigen Unterstützung. Die Jahrestagung 2024 bot neben dem Austausch zu qualitativen Methoden damit Zeit und Raum für Erfahrungsberichte aus dem universitären und praktischen Arbeits- und Forschungsalltag sowie für Austausch über wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Karrierewege und Berufsfelder.
Im kommenden Jahr wird die 9. Jahrestagung vom 10.-11.03.2025 wiederum im Tagungshaus „Haus am Steinberg“ in Goslar stattfinden und Raum für die Diskussion bieten und erneut eine work in progress-session beinhalten. Im nächsten Jahr werden wir den Fokus auf das Thema Multisensorik in der qualitativen Forschung legen, um darüber zu diskutieren, wie und mit welchen Konsequenzen unterschiedliche Sinne und sinnliche Eindrücke und Stimuli in die Forschung einbezogen werden können und sollten. Die Planungen hierzu laufen und der Call for Paper folgt Ende des Jahres 2024. Die Anmeldung zur Tagung ist ab Januar 2025 möglich.
Der AK freut sich weiterhin über Interesse an der Arbeit; Interessierte können gerne mit den Sprecherinnen des Arbeitskreises, PD Dr. Anna-Lisa Müller (anna-lisa.mueller@uni-bielefeld.de), Universität Bielefeld, und PD Dr. Jeannine Wintzer (jeannine.wintzer@unibe.ch), Universität Bern, Kontakt aufnehmen. Auf der Website des AK (https://www.qualitative-methoden.giub.unibe.ch) finden sich neben Informationen über Mitglieder auch Veranstaltungshinweise und ein Methoden-Lexikon.