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Bericht zum Gründungstreffen des Arbeitskreises “Raumphänomenologie”

Bericht zum Gründungstreffen des Arbeitskreises »Raumphänomenologie« in Würzburg vom 21.02. bis 23.02.2024 und Vorankündigung für eine Vortragsreihe

Nachdem bereits einige informelle Treffen im Vorfeld und ein intensiver fachlicher und persönlicher Austausch rund um den DKG 2023 in Frankfurt stattgefunden hatten, trafen sich vom 21.2. bis 23.2.2024 in Würzburg knapp 30 Geographinnen und Geographen im gemeinsamen Willen, einen DGfG/VDG-Arbeitskreis »Raumphänomenologie« zu gründen. Es erschien  sinnvoll und notwendig, einen neuen Diskussions-, Arbeits- und Forschungszusammenhang zu etablieren, der phänomenologische Zugänge und ähnliche Theorieangebote wie die Philosophische Anthropologie oder die (sozialwissenschaftliche) Hermeneutik, ebenso wie Dialektik oder Naturphilosophie diskutiert und für das Fach adaptiert, da diese in der deutschsprachigen Humangeographie bislang kaum eine Rolle spielen.

Den Anfang machte eine Keynote von Dr. Giovanna Caruso, die Prof. Dr. Annika Schlitte krankheitsbedingt vertrat (beide Universität Greifswald). Der Vortrag war der Grundlegung raumphänomenologischen Denkens und Arbeitens in der Philosophie von Günter Figal und Martin Heidegger gewidmet. Ihr gelang eine Klärung zentraler Raumdimensionen des Menschseins und bot Möglichkeiten  an, wie man hier – auch interdisziplinär – anknüpfen kann, um die immer noch relativ unbeachtete und zu wenig theoretisierte räumliche Dimension des planetarischen Daseins weiter in den Fokus zu rücken – ein Thema, das auch und gerade für die zeitgenössische Geographie von höchster Relevanz ist.

Der nächste Morgen begann mit grundlegenden Impulsreferaten von Lukas Pieroth (Koblenz) zu »Inwieweit kann eine phänomenologische Orientierung zur Gegenstandsfrage in der Geographie einen Beitrag leisten?«, Thomas Dörfler (Jena) »Zur Methodologie der Unscheinbarkeit« und Günther Weiss (Köln) über »Das Erspüren von Atmosphären vermitteln«. Eberhard Rothfuß (Bayreuth) leitete mit seinem Beitrag »Der ›Raum der Phänomenologie‹« zum Gedenken an Günter Figal über, der unerwartet am 17. Januar 2024 in Ulm verstorben war. Günter Figal, der sich als ausgewiesener Heidegger-Experte – unter anderem als ehemaliger Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft und Herausgeber der Reihe Heidegger Forum im Verlag Vittorio Klostermann – intensiv wie kein zweiter mit Raumphänomenologie auseinandergesetzt hat (u.a. in »Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie«, ersch. 2015 bei Mohr Siebeck), hatte erst Ende 2023 gesundheitsbedingt seine Teilnahme als Keynote-Speaker auf der Gründungssitzung des Arbeitskreises absagen müssen. Gemeinsam wurde seiner erinnert und ein Foto der Teilnehmer aufgenommen, das seiner Witwe mit einem Kondolenzschreiben zugesandt wurde.

Der fachliche Austausch des zweiten Tages ging am späten Vormittag mit einem gemeinsamen phänomenologischen Go-Along im Würzburger Ringpark & Hofgarten unter dem Motto »Von Holzwegen, krummen Pfaden und erweiternden Brücken« mit Bezügen zu Martin Heidegger, Jeff Wall und Georg Simmel weiter. Nach einer mittäglichen Einkehr in der Würzburger Altstadt kamen die Teilnehmer zum Nachmittagspanel mit Fachvorträgen zusammen. Rebekka Atakan (Bonn) trug zum »Physischem Raum als strukturierte und strukturierende Struktur« vor. Anhand einer Fallstudie wurde die Analyse von Raumwahrnehmungen mit Hilfe der Multiplen Faktorenanalyse expliziert. Im Anschluss organisierten Sophia Feige, Nicole Richter & Pauline Schottmann (Jena & Flensburg) einen Workshop mit phänomenologischen Methoden über  »Die Verschränkung von Phänomenologie und Hermeneutik als Schlüssel für Bildungsprozesse in der Geographie«. Mittels eines kreativen Leporellos wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in phänomenologischer Methodik geschärft.

In einem weiteren Panel vermittelte Angelina Göb (Hannover) Einsichten aus gewöhnlich verborgenen Räumen der Justizvollzugsanstalten mit dem Titel »Die vermittelte und vermittelnde Atmosphäre. Zur Vollzugshaftigkeit des Lebens im Vollzug« und konnte eine eindringliche Empirie dieser besonderen Räumlichkeit und ihrer Akteure liefern. Axel Prestes Dürrnagel (Bayreuth) vermittelte empirisch-phänomenologische Befunde aus Maputo in Mosambik in seinem Vortrag »Raumerfahrungen und Ortsverluste peri-urbaner Lebenswelten« und zeigte das Potential der Phänomenologie für Forschungsarbeiten auf. Zum Thema »Der Einfluss virtueller Welten und der fortschreitenden digitalen Transformation auf die Raumwahrnehmung« führte Frank Edenharter (Freyung-Grafenau) wichtige Gedanken zur (virtuellen) Geographie v.a. ländlicher Räume aus. Der Austausch wurde dann bei einem zweiten gemeinsamen Ausklang des Abends in der Würzburger Altstadt fortgesetzt.

Am dritten Tag des Treffens folgte ein letztes Panel mit Fachvorträgen, welches Joachim Rathmann (Würzburg) mit einem Vortrag zu »Öko-Phänomenologie« eröffnete. Sein Vortrag war getragen von der Frage, ob und wie Fragen der Ökologie und Phänomenologie gemeinsam gedacht werden können. Thomas Dörfler (Jena) plädierte in seinem Vortrag »Plessner und Schütz revisited« unter anderem für sozialwissenschaftlich-hermeneutische Perspektiven auf den Raum und ein Zusammendenken von Anthropologie und Phänomenologie. Abschließend unternahm Serge Leopold Middendorf (Augsburg) einen solchen  »Versuch über das Verbindende von philosophischer Anthropologie nach Plessner und Phänomenologie nach Heidegger«. Darin argumentierte er für eine stärkere Betonung von Gemeinsamkeiten der Denkstile und Theoriebildung angesichts wissenschaftshistorisch bestehender starker Abgrenzungstendenzen insbesondere Heideggers und anderen gegenüber der philosophischen Anthropologie.

Zum Abschluss des Workshops stand die formale Gründung des Arbeitskreises »AK Raumphänomenologie« auf der Tagesordnung. Auf Initiative von Eberhard Rothfuß und Thomas Dörfler wurde von den Anwesenden eine Gründung eines solchen Arbeitskreises einstimmig befürwortet. Nach der Konstitution des Arbeitskreises wurden vorwiegend organisatorische Fragen wie Formate und Termine kommender Treffen besprochen. Es wurde dabei noch keine Entscheidung über das zukünftige Sprechergremium getroffen.

Ebenso wurde einstimmig beschlossen, eine Webseite für weitergehende Informationen rund um den Arbeitskreis einzurichten (www.ak-raumphaenomenologie.de). Interessierte finden hier Texte, Links und Ankündigungen zur weiteren wie bisherigen Arbeit der Mitglieder des AK. Wir danken Serge Middendorf ganz herzlich für die Einrichtung und Pflege  der neuen Homepage. Wer Interesse an der Aufnahme in den Arbeitskreis und seinen Verteiler hat, kann sich bei info@ak-raumphaenomenologie.de gerne registrieren.

Wir möchten hier bereits eine Vorankündigung zur Online-Lecture »Mensch – (Um-)Welt – Gesellschaft in phänomenologischer Perspektive« im kommenden Wintersemester 2024/25 machen. Nähere Informationen zu Referenten und Vorträgen erfolgen in Bälde im Online-Rundbrief sowie auf unserer neuen Homepage. Save-the-date: Ein zweites Treffen des Arbeitskreises ist bereits fixiert: Wir wollen uns vom 16. bis 18. Januar 2025 in Bayreuth treffen, ein Call for Papers hierfür wird im Herbst gesondert veröffentlicht werden.

In Vertretung des AK: Thomas Dörfler (Jena), Eberhard Rothfuß (Bayreuth), Serge Leopold Middendorf (Augsburg) & Lukas Pieroth (Koblenz)