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40 Jahre Wahrnehmungsgeographische Studien an der Universität Oldenburg

40 Jahre Wahrnehmungsgeographische Studien an der Universität Oldenburg

 

Wissenschaftliche Schriftenreihen haben ihre Geschichte. Bei manchen ist es der Wandel  der Paradigmen, die das Denken einer Disziplin lenken. Bei anderen eine wissenschaftstheoretische Gabelung auf den Wegen der Forschung. Der Zeitgeist führt dabei nicht selten Regie. Auf dem zweiten Weg ist 1984 die Reihe der Wahrnehmungsgeographischen Studien zur Regionalentwicklung ins Leben gerufen worden, in der bis dato 31 Bände erschienen sind. Zugunsten einer thematischen Konzentration und perspektivisch stringenteren Ausrichtung entfiel der Zusatz „zur Regionalentwicklung“ später. Die Initiierung einer Reihe hat aber stets auch eine biographische Wurzel. Diese geht hier auf Prof. Dr. Rainer Krüger zurück, der von 1974 bis 1979 Gründungsrektor der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg war und nach seiner Wiederaufnahme der Lehre und Forschung neue wissenschaftstheoretische Akzente setzte, in deren Mitte Fragen der Raumwahrnehmung standen. Die von ihm gegründete Schriftenreihe sollte sich diesem breit gefächerten Themenfeld widmen.

 

Eine das Vorhaben fördernde Sensibilität lag in den frühen 1980er Jahren „in der Luft“. Die Anthropo-, Sozial- bzw. Humangeographie wandte sich als seinerzeit „neue“ Allgemeine Geographie unter anderem der Subjektperspektive zu. Dieser grundlegende Richtungswechsel war um 1970 Ausdruck der wissenschaftspolitischen Ablehnung der Länderkunde als einer „nur“ idiographischen Wissenschaft. Innerhalb neuer Strömungen kamen auch Ansätze einer sich zunächst eher programmatisch und umrisshaft präsentierenden Humanistischen Geographie auf. Diese fokussierte das Subjekt, allerdings in einem weiteren Sinne, d. h. nicht nur als rational handelndes Wesen. Integriert waren deshalb auch phänomenologische und pragmatistische Ansätze. Dieser „humanistische“ Trend sollte sich jedoch nicht verstetigen. Die Reihe der Wahrnehmungsgeographischen Studien widmet sich dagegen bis heute der individuellen wie vergesellschafteten Subjektivität – in der sogenannten “Raumproduktion“ wie im sinnlichen Erleben der Welt. Sie war und ist offen für Studien, in deren Mitte das seine Welt wahrnehmende Subjekt steht – in welcher Weise auch immer es seine Beziehungen zu Natur und Gesellschaft gestaltet.

 

Dass diese Sicht auf den er- wie gelebten Raum unverändert aktuell ist, zeigte sich im Rahmen eines kleinen Workshops, zu dem die Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Rainer Danielzyk (Leibniz-Universität Hannover), Prof. Dr. Jürgen Hasse (Goethe-Universität Frankfurt am Main) und Prof. Dr. Ingo Mose (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), eingeladen hatten. Anlass war deren 40-jähriges Jubiläum. Die Veranstaltung fand am 31.01.2025 im Senatssitzungssaal der Universität in Oldenburg statt. Hier ist die Reihe seit ihrer Gründung „beheimatet“. Nach einer kurzen Einführung der Herausgeber zur Geschichte der Reihe und dem breiten thematischen Spektrum der bisher publizierten Bände widmeten sich drei Vorträge dem Thema der Landschaft, die sich als multipler Raum (atmosphärisch, politisch, stofflich, physiognomisch, morphologisch etc.) in wechselnden Erlebnisbildern konstituiert. Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. Olaf Kühne von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Landschaft – Konflikt – Gefühl: Überlegungen zu einer Redeskription der humanistischen Geographie). Es folgte ein Beitrag von Prof. Dr. Tanja Mölders von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Landschaft zwischen Ästhetisierung und Objektivierung – eine Dekonstruktion aus Geschlechterperspektiven). Abschließend referierte Dr. Johannes Hermes von der Leibniz Universität Hannover zum Thema „Das Landschaftsbild als kulturelle Ökosystemleistung – auf dem Weg zu einer besseren Berücksichtigung in der Planung.“

Die Vorträge wie die regen Diskussionen illustrierten eine breite Vielfalt der Ansätze und Perspektiven, „Landschaft“ als inter- und transdisziplinäres Forschungsfeld zwischen Humangeographie und Physischer Geographie nutzbar machen zu können. Die menschliche Wahrnehmung erweist sich nicht nur darin als ein grundlegender Modus der Welterschließung. Die Schriftenreihe wird sich auch in Zukunft diesem erkenntnistheoretisch und lebensweltlich relevanten Thema widmen.

 

Prof. Dr. Jürgen Hasse (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

 

 

Die Herausgeber der WGS und die Referent:innen des Jubiläums-Workshops

(v.l.n.r. Olaf Kühne, Tanja Mölders, Rainer Danielzyk, Ingo Mose, Jürgen Hasse und Johannes Hermes)