Landschaft – Technik – Wissen: Praktiken und Grenzen der Gestaltung von (Um-)Welt
Digitales Kolloquium ‚ARKUM – Fachdisziplinen im Gespräch!‘
Im Sommersemester 2025 lädt der ‚Arbeitskreis für historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e. V.‘ (ARKUM) erneut Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen und Qualifizierungsstufen zu einem semesterbegleitenden digitalen Kolloquium ein, diesmal unter dem Titel ‚Landschaft – Technik –Wissen: Praktiken und Grenzen der Gestaltung von (Um-)Welt‘. Das Ziel dieses Formats fokussiert einen regelmäßigen Austausch, der verschiedene fachliche Perspektiven des jeweiligen Themas beleuchtet und zur kritischen Diskussion einlädt. Es baut Berührungsängste zwischen den einzelnen Fachdisziplinen ab und ermöglicht ein Verständnis für die Denkweisen, theoretisch-methodischen Vorgehensweisen und Befunde anderer Disziplinen. Dabei stehen gezielt solche Themen im Vordergrund, die aktuell eine fachübergreifende Erforschung erfahren. Das diesjährige Kolloquium nimmt die Wechselbeziehungen zwischen Landschaft, technischen Praktiken und Wissensformen in den Blick. In Landschaften wird seit jeher das Wirken der Menschen sichtbar, die sich dabei in unterschiedlichen Wissenskontexten bewegen – vom Alltagswissen über Glauben und Symboliken bis hin zu Medien – und sich verschiedener Techniken bedienen sowie technische Innovationen hervorbringen. In diesem Prozess gestaltet und verändert der Mensch seine (Um-)Welt.
‚Landschaft‘ meint dabei nicht nur ein geographisch-physisches Gebiet, sondern auch alle Formen eines kulturell, sozial und historisch geprägten Raumes, dessen Wahrnehmung und Gestaltung in hohem Maße von Wissen (Alltagswissen, Glauben, symbolische Deutungen, institutionalisierte Erkenntnisse etc.) abhängig ist (Kühne et al. 2024; Schenk 2006; Tilley 1994; Cosgrove 1993). Die ‚Technik(en)‘, die zur Veränderung genutzt werden, verstehen wir als vielfältige, in der Geschichte wandelbare Praktiken und Artefakte, die von einfachen Werkzeugen und Verfahrensweisen bis zu komplexen Infrastrukturen reichen (Heine 2015; Kern et al. 2009; Pierenkemper 1996). Diese Techniken werden als ‚Innovation‘ dynamisch im Prozess oder in anderer Form geschaffen und breiten sich daraufhin in und über Räume aus (Pernold 2016). ‚Geofaktoren‘ wie Klima, Relief, Wasserhaushalt, Ressourcen oder Boden sind natürliche Rahmenbedingungen, die menschliches Handeln beeinflussen, jedoch nicht determinieren (Schröder/Bühling 2023; White 2011; Cronon 1995).
Ein anschauliches Beispiel hierfür lässt sich bereits im Hoch- und Spätmittelalter finden: So führten Deichbau und Moorentwässerung zu weitreichenden Veränderungen vormals natürlicher und naturnaher Räume. Diese Entwicklungen waren ihrerseits eng mit neuen Innovationen verknüpft, welche die Landschaft erneut umformten (van Tielhof 2021; Behre 2008). Gleichzeitig fanden sie in einem Zeitraum statt, in dem sich die Umweltbedingungen immer wieder veränderten, wie etwa durch den Übergang von der Mittelalterlichen Warmzeit zur Kleinen Eiszeit. In der Gegenwart treten diese Gestaltungsprozesse auch in den kontroversen Debatten um den Klimawandel und die Frage nach menschlicher Verantwortlichkeit hervor, wenn auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse umfangreiche Anpassungsmaßnahmen an die sich verändernden Umweltbedingungen in Gang gesetzt werden. In der Folge können neue Landschaftstypen entstehen, wie zum Beispiel großflächige ‚Energielandschaften‘ (vgl. Gailing & Leibenath 2013) mit Windrädern und Solarfeldern. Dabei setzen Geofaktoren zweifellos den Rahmen für menschliche Aktivitäten, da sie als unhintergehbare Grund- und Rahmenbedingungen fungieren. Sie determinieren aber keineswegs die gesellschaftliche oder landschaftliche Entwicklung. Hier lauert oft die Gefahr, in einen längst widerlegten Geodeterminismus zu verfallen, der natürliche Faktoren – etwa Klima oder Relief – als dominante ‚Steuerungsinstanzen‘ menschlichen Handelns betrachtet. Genau dieser
Spannungsbogen zwischen natürlichen Voraussetzungen, technischen Möglichkeiten und den vielfältigen Wissensformen, die unser Handeln leiten, steht im Zentrum unseres Kolloquiums.
Dabei rückt stets die Frage in den Vordergrund, wie menschliche Gruppen in unterschiedlichen Epochen – von prähistorischen Gesellschaften bis in die Gegenwart – technische Lösungen und Wissen (Alltagswissen, Glaubensvorstellungen, Medien, Mythenerzählungen etc.) einsetzen, um ihre Umwelt zu gestalten und zu deuten. Gleichzeitig soll aufgezeigt werden, wie die jeweiligen geofaktischen Voraussetzungen (z. B. reliefbedingte Erosionsprozesse in Gebirgen, Wasserhaushalt in Mooren oder Küstendynamik) einerseits Handlungsmöglichkeiten eröffnen und andererseits Einschränkungen setzen (vgl. etwa Schanbacher 2024; Denzler 2023; Andermann/Schenk 2020). Wir möchten insbesondere folgende Aspekte diskutieren:
• Welche Gestaltungspraktiken lassen sich in verschiedenen Epochen, Räumen und Handlungskontexten identifizieren, um Landschaften an menschliche Bedürfnisse anzupassen (z.B. Urbarmachung, Infrastruktur, Ressourcengewinnung, Besiedlung, Entvölkerung, Energielandschaften)?
• In welcher Form begünstigen und/oder erschweren Geofaktoren (Klima, Relief, Wasser, Böden etc.) diese möglichen Gestaltungsprozesse?
• Welche Rolle spielen unterschiedliche Wissensformen und Wissensrepräsentationen (Alltagswissen, Fachwissen, Mythen, mediale Repräsentationen, symbolische Praktiken oder
wissenschaftliche Expertise sowie der Einsatz künstlicher Intelligenz) bei der Wahrnehmung, Bewertung, Schaffung, Gestaltung und Veränderung von Landschaften?
• Wie gelangen Forschungserkenntnisse aus Geographie, Geschichte, Archäologie (sowie aus benachbarten Disziplinen) zu ihren Aussagen über Landschaft, Technik und Wissen – und
wo liegen methodische Herausforderungen oder Kontroversen?
• Wie können interdisziplinäre Perspektiven neue Erkenntnisse schaffen und einen reflektierten Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen der Landschaftsgestaltung fördern?
Zu den 90-minütigen, digitalen Treffen (ZOOM) sind alle diejenigen regelmäßig eingeladen, die ein Thema im Rahmen des oben beschriebenen Forschungsrahmens bearbeiten und dieses gerne in einem interdisziplinären Kontext vorstellen und diskutieren möchten, oder aber einfach nur Interesse am Thema und an den regelmäßigen Diskussionen haben. Die Präsentationen sollen sich in
einem zeitlichen Rahmen von maximal 35 Minuten bewegen und dazu beitragen, besonders ‚knifflige‘ Fragen oder Aspekte, den möglichen Umgang mit Einzelbefunden, die methodische Herange-
hensweise (u. a. in Forschungsprojekten, Studien) etc. vorzustellen und zu diskutieren. In jeder Sitzung ist auch stets Zeit vorgesehen, nach Bedarf unabhängig vom Thema des Kolloquiums aktuelle Herausforderungen in der eigenen Forschung anzusprechen. Der Austausch soll insgesamt also dazu dienen, …
… durch die regelmäßigen Diskussionen zu verstehen, wie die Fachkolleg*innen und die Kolleg*innen anderer Fachdisziplinen bestimmte Begriffe/Konzepte erschließen, welche Rolle diese in ihrem Fach spielen.
… durch die anderen fachlichen Perspektiven eine Erweiterung des eigenen Horizontes zu erfahren.
… einen generellen Einblick in die jeweiligen Fachdiskussionen (z. B. auch über eventuelle Kontroversen) zu erhalten sowie
… zu verstehen, wie andere Disziplinen zu ihren Ergebnissen gelangen (Methodik & Quellen) sowie Mittel und Wege zu finden, diese Ergebnisse sinnvoll in die eigene Forschung zu integrieren.
Der CfP richtet sich an Wissenschaftler*innen aus Archäologie, Geschichtswissenschaft und Geographie, sowie anderen Fachdisziplinen (z. B. Soziologie, Religionswissenschaften oder Philosophie), die sich mit Fragen rund um dieses Thema beschäftigen. Eine regelmäßige Teilnahme fördert dabei eine spannende dauerhafte Diskussion, die sich über die gesamte Länge der Veranstaltung erstreckt. Eingeladen sind auch alle diejenigen, die einfach nur Interesse am Thema und an diesen regelmäßigen Diskussionen haben, aber selbst nicht vorstellen möchten.
Bewerbungen für einen Vortrag in Form eines Abstracts (max. 2.000 Zeichen) und einer Kurzvorstellung (max. 400 Zeichen) mit Kontaktdaten bzw. eine Interessensbekundung für eine einfache Teilnahme richten Sie bitte bis spätestens zum 10.04.2025 an lina.schroeder@uni-wuerzburg.de.
Wir freuen uns auf spannende Beiträge sowie anregende Diskussionen und hoffen, durch diesen Austausch neue Impulse für die interdisziplinäre Forschung zu setzen und das Verständnis zwischen den Disziplinen zu stärken.
Literatur (Auswahl)
Andermann, Kurt/Schenk, Gerrit J. (Hg.) (2020): Wasser. Ressource – Gefahr – Leben (Kraichtaler Kolloquien/12). Ostfildern.
Behre, Karl-Ernst (2008): Coastal Development, Sea-Level Change and Settlement History during the Later Holocene in the Clay District of Lower Saxony (Niedersachsen), Northern Germany. In: Quaternary International/112/1, S. 37–53.
Cosgrove, Denis E. (1993): Landscapes and Myths, Gods and Humans. London.
Cronon, William (1995): Uncommon Ground: Rethinking the Human Place in Nature. New York.
Denzler, Alexander (2023): Straßen im 16. Jahrhundert. Erhalt – Nutzung – Wahrnehmung (Ding, Materialität, Geschichte/5), Köln.
Gailing, Ludger/Leibenath, Markus (2013): Neue Energielandschaften – Neue Perspektiven der Landschaftsforschung. Wiesbaden.
Heine, Eike-Christian (2015): Vom großen Graben. Die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals, Berlin.
Kern Anton et al. (Hgg.) (2009): Technologieentwicklung und -transfer in der Hallstatt- und Latènezeit. Wien.
Kühne, Olaf et al. (Hgg.) (2024): Handbuch Landschaft. Wiesbaden.
Pernold, Magdalena (2016): Traumstraße oder Transithölle. Eine Diskursgeschichte der Brennerautobahn in Tirol und Südtirol (1950–1980) (Histoir/92), Bielefeld.
Pierenkemper, Toni (1996): Umstrittene Revolutionen. Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. Main.
Schanbacher, Ansgar (2024): Natur als Ressource und Gefahr. Braunschweig, Würzburg und Utrecht in der späten Vormoderne (Umwelthistorische Forschungen/11), Köln.
Schenk, Winfried (2006): Historische Kulturlandschaftsforschung im Spannungsfeld von älteren Ansätzen und aktuellen Fragestellungen und Methoden: institutioneller Hintergrund, methodische Ausgangsüberlegungen und inhaltliche Zielsetzungen (Siedlungsforschung/24). Bonn.
Schröder, Lina/Bühling, Wolfgang (Hg) (2023): Herrschaftlicher Anspruch und öffentlicher Nutzen. Die Rolle (städtischer) Einrichtungen und natürlicher Ressourcen im epochenübergreifenden Vergleich. Würzburg.
Tielhof, van Milja (2021): Concensus en conflict. Waterbeheer in de Nederlanden 1200–1800, Hilversum.
Tilley, Chris (1994): A Phenomenology of Landscape: Places, Paths and Monuments. Oxford.
White, Richard (2011): The Organic Machine: The Remaking of the Columbia River. New York.