Forschung

Einblicke in die Geographie

Ad fontes – was uns Quellen verraten

Die mitteleuropäischen Landschaften sind seit Jahrtausenden maßgeblich durch menschliche Einflüsse geprägt. Flüsse wurden begradigt, Talräume drainiert, Böden ackerbaulich genutzt, steile Hänge beweidet. Nur wenige Biotope waren für menschliche Nutzung nicht relevant: Felsbildungen und Waldquellen. Sie erlauben uns einen Blick in die Vergangenheit und zeigen als äußerst sensible Ökosysteme schon heute die Auswirkungen des Klimawandels.

Quellökosysteme

Ein wichtiges Merkmal der scharf gegenüber dem Waldboden abgegrenzten Quellbereiche sind insbesondere die ausgeglichenen Wassertemperaturen. Außerdem ist die Schüttung solcher Quellen sehr gering – es sind keine „sprudelnden Quellen“, sondern Sickerwasserquellen und kleine, ständig feuchte Sümpfe, die eine einzigartige Bedeutung für die Artenvielfalt haben.

Eine Nutzung solcher Quellsümpfe ist uninteressant. Man kann sie nicht trockenlegen, es ist unsinnig, dort Bäume zu pflanzen und für die Trinkwasserversorgung ist ihre Schüttung zu gering. Aufgrund ihrer sehr kleinen Einzugsgebiete sind sie nicht selten, werden aber oft übersehen oder als unbedeutend erachtet. Mithin sind diese kleinen Oasen der Natürlichkeit eine Heimstatt für spezialisierte Arten, die auf konstante Wasserversorgung und ausgeglichene Temperaturen angewiesen sind.

So reagierten diese Quellökosysteme in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr sensibel auf den „sauren Regen“. Die enge Verbindung mit dem Waldeinzugsgebiet und die kurzen Transportwege ermöglichten es, silikatische Waldquellen als ein Frühwarnsystem für das Waldsterben zu nutzen. Geschädigte Gebiete konnten gut identifiziert werden und somit geographische Muster der Umweltbelastung ausgewiesen werden, noch bevor Wälder deutliche Schäden zeigten.

Die Reduktion von Schwefeleinträgen seit den 1990er-Jahren hat dieses Problem zwar nicht gelöst, aber doch nicht weiter verschärft.

In den letzten beiden Jahrzehnten machen sich nun der Klimawandel und die zunehmende Variabilität von Niederschlägen in diesen auf Konstanz angewiesenen Waldquellen und bei ihren Arten bemerkbar.

Es kommt vermehrt zum Trockenfallen, was für Arten, die auf ständige Feuchte angewiesen sind, existenziell bedrohend ist. Sind ihre lokalen Populationen in einer Quelle einmal erloschen, kann es lange dauern, bis diese inselartigen Lebensräume wieder neu besiedelt werden. Es stellen sich folglich neue Forschungsfragen zu diesen natürlichen Laboren der Umweltbeobachtung.

Aktuelle Forschungsfragen

Können die quelltypischen Arten ein zeitlich begrenztes Austrocknen der Quellstandorte überleben? Bildet sich eine Samenbank, welche die Vegetation in Zeiten erneuter Schüttung wieder beleben kann? Können Ausbreitungseinheiten (Samen, Früchte) die Distanzen zwischen den Quellstandorten überwinden und so zur Anpassung an den Klimawandel beitragen? Welche Rolle spielt die Vorbelastung durch den sauren Regen für die Resilienz gegenüber Veränderungen des Niederschlagsregimes?

 

KONTAKT

Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Biogeographie, Carl.Beierkuhnlein@uni-bayreuth.de

 

Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 11-2023 erschienen.