Feldforschungen in Äthiopien Der Umgang mit Unsicherheiten und Herausforderungen
Franziska Krachten im Gespräch mit Verena Foerster
Ein interdisziplinäres Forschungsteam mit geographischer Beteiligung hat zwischen 2014 und 2022 anhand von langen Sedimentbohrkernen aus dem Chew-Bahir-Becken in Süd-Äthiopien erforscht, welche möglichen Auswirkungen Klimaveränderungen auf die Entwicklung des Menschen hatten. Wie läuft eine solche Forschung vor Ort ab? Mit welchen Unsicherheiten und Herausforderungen hat man zu kämpfen? Dr. Verena Foerster gewährt im Gespräch einen Einblick hinter die Kulissen der Feldforschung.
Wie lief die Feldforschung ab?
Im Chew-Bahir-Becken lag ein Schatz in Form von mächtigen Sedimentablagerungen vor uns. Nach einigen Vorstudien führten wir 2014 die wissenschaftliche Tiefbohrung durch, um anhand der Bohrkerne Aussagen über die vergangenen 620 000 Jahre Klimageschichte ableiten zu können. Ganz praktisch bedeutete das: In unmittelbarer Nähe zum Bohrturm schlugen wir, 17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler, unser Camp mit Feldlabor auf. Wir arbeiteten sechs Wochen lang fast rund um die Uhr. Pro Bohrvor- gang wurde mit ca. 3 m Vortrieb gebohrt – dann war das Kernrohr wieder mit Sediment gefüllt, musste nach oben geholt, präzise dokumentiert und sicher verpackt werden. So haben wir es Stück für Stück geschafft, am Ende zwei Sedimentbohrkerne von ungefähr 280 m zu gewinnen und sicher in das Labor nach Minneapolis zu transportieren.
Gibt es bei den Ergebnissen Unsicherheiten? Wie sind Sie damit umgegangen?
Der transparente und bewusste Umgang mit Unsicherheiten macht aus meiner Sicht die Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse aus. Anhand eines Beispiels lässt sich dies verdeutlichen: Ein Team aus Geochronologen hat intensiv daran gearbeitet, bestimmte Abschnitte des Bohrkerns einem bestimmten Zeitabschnitt zuzuordnen. Das ist wichtig, denn ohne Datierungen liegt einfach nur ein großer Berg an Sedimenten vor uns. Jede einzelne Datierung hat selbstverständlich Unsicherheiten, zwischen den einzelnen sogenannten Chronometern interpoliert man und daraus ergibt sich ein Alters-Tiefenmodell. Bei der Auswertung ist es entscheidend, diese Unsicherheitsbereiche kenntlich zu machen und bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen.
Welche Schwierigkeiten traten im Feld auf und wie konnten sie gelöst werden?
Ein Jahr vor der tatsächlichen Bohrung gab es z. B. Probleme mit der Bohrfirma, was dazu geführt hat, dass die Bohrung um ein Jahr verschoben werden musste – mit allen Konsequenzen.
Nach Beginn der Bohrung reichten die geplanten 12 000 l Wasser pro Tag nicht aus. Ohne 10 000 l zusätzliches Wasser drohte der Bohrkopf im Bohrloch steckenzubleiben. Wir konnten schließlich nach einiger Anstrengung Wasser per Tanklastwagen aus einem ent- fernten Fluss beziehen – das war aufgrund der dort lebenden Krokodile und der fehlenden Infrastruktur eine echte Herausforderung!
Welcher Moment der Feldforschung war besonders wichtig?
Da könnte ich nun unzählige Momente aufzählen. Lassen Sie mich einige auswählen:
Der erste wichtige Moment für mich war, als klar war, dass wir es wirklich geschafft haben. Dass unser gesamtes internationales Team mit der vollständigen Ausrüstung vor Ort angekommen war – trotz aller Hürden, die es im Vorfeld gab.
Dann natürlich auch der Moment, als die ersten Bohrkern-Meter an die Oberfläche geholt wurden – die ersten Meter in einem sehr umfangreichen Forschungsprojekt! Da war klar: Wir stehen zwar erst am Anfang, aber bis hierhin haben wir es schon mal geschafft – und das war sehr bewegend!
Einer der spannendsten Augenblicke fand dann im Labor in Minneapolis statt: Als der Bohrkern zum ersten Mal geöffnet wurde und langsam klar wurde, dass die Qualität des Materials gut ist und wenig Störungen vorliegen. Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass im Bohrkern, der dort zum ersten Mal der Länge nach geöffnet vor uns lag, Fossilien zu sehen waren – denn da wussten wir, dass wir daran hervorragende Datierungen machen können.
Für mich persönlich war auch noch mal die Rückkehr in das Gelände vier Jahre nach der Bohrung sehr bedeutend. Nach der intensiven Arbeit der Analysen war es ein bewegender Moment, noch mal in das Gelände zurückzukehren, den Staub zu riechen und die Hitze zu fühlen. Der Ort der Bohrung konnte zu dem Zeitpunkt nur noch per GPS identifiziert werden. Zu sehen war natürlich – abgesehen von einem verlorenen Arbeitshandschuh, der aus der Salzkruste herausragte – nichts mehr, was auch so gewollt war. Denn wir möchten mit unserer Forschung natürlich möglichst keine Spuren hinterlassen.
Informationen zum Forschungskontext
Das Chew Bahir Projekt ist Teil des internationalen Forschungszusammenschlusses „Hominin Sites and Paleolakes Drilling Project“ und des Sonderforschungsbereichs 806 „Our way to Europe“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Es hat zum Ziel, anhand von Klimaschwankungen in Ostafrika, Hypothesen zu den Zusammenhängen von Klimaschwankungen und der Evolution sowie der Verbreitung des Menschen zu testen.
Weitere Informationen
Foerster, V. et al. (2022): Pleistocene climate variability in eastern Africa influenced hominin evolution. – In: Nature Geoscience 15, 805–811. (Link hinterlegen: https://www.nature.com/articles/s41561-022-01032-y)
Kontakt
Dr. Verena Foerster
Universität zu Köln, Institut für Geographiedidaktik, V.Foerster@uni-koeln.de
Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 1/2-2023 erschienen.