Forschung

Einblicke in die Geographie

Gedenken überdenken – Zur Aufarbeitung kolonialer Spuren am Geographischen Institut der Universität Bonn

Ausgehend von kritischen Reaktionen auf eine dem Geographen Carl Troll gewidmeten Infostation wurde am Bonner Geographischen Institut ein partizipativer Prozess angestoßen, der zur Reflexion kolonialer Vorstellungen in der Geschichte und Gegenwart geographischen Denkens anregen soll.

Kritisches Gedenken an Carl Troll
Im November 2023 bot sich den Studierenden und Mitarbeitenden des Geographischen Instituts ein ungewohntes Bild: Überall im Institutsgebäude waren Flugblätter angebracht worden, auf denen Aussagen Carl Trolls (1899–1975) zu lesen waren. Der studentische Arbeitskreis „Kritische Geographie“ hatte die Aktion geplant und Zitate ausgewählt, die von der kolonialen Weltanschauung des Forschers zeugen. Damit sollte ein Aufarbeitungsprozess initiiert werden, in dessen Zentrum eine erst 2020 eingeweihte Infostation steht. Dort werden die Person und das Werk Trolls gewürdigt – zu unkritisch? Trolls Wirken als Forschungsreisender, Hochschullehrer und Mitbegründer der Landschaftsökologie steht exemplarisch für
die Verwobenheit von geographischer Wissenschaft und politischer Macht. So sind seine Schriften durchzogen von kolonialen Sprech- und Denkmustern. Besonders während der NS-Zeit trat er als Repräsentant einer scheinbar objektiven Wissenschaft in revisionistisch-nationaler Manier für den Wiedererwerb deutscher Kolonien ein (Schlottmann und Wintzer 2019, Winiger 2003).
Die Frage nach einem adäquaten Umgang mit der Troll gewidmeten Infostation ist nun Ausgangspunkt für ein gemeinschaftliches Überdenken der Rolle disziplinärer Erinnerung und fortwirkender kolonialer Vorstellungen in Gesellschaft und Wissenschaft. Der partizipativ angelegte Prozess hat mit der Einrichtung einer digitalen Pinnwand begonnen, auf der Gedanken und Empfindungen zur
derzeitigen Situation sowie Ideen und Anregungen für eine Überarbeitung der Station geteilt werden können. Diese sollen im Rahmen einer Ausstellung im Institutsgebäude sichtbar gemacht werden und geben Anlass zu einem Weiter-
denken der Gestaltungsoptionen. Im Sommersemester 2024 folgen öffentliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen mit Expertinnen und Experten. Nach
einer ersten Sensibilisierung sollen so fachliche Grundlagen für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Disziplingeschichte sowie deren wesentlichen Akteurinnen und Akteure und Institutionen geschaffen werden. Geplant sind weiterhin Lehrveranstaltungen zu den Themen Geographiegeschichte, Kolonialismus und Postkolonialismus sowie zum Umgang mit kolonialem Erbe. Diese finden in Zusammenarbeit mit studentischen und städtischen Initiativen statt, um Bezüge zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Gemeinsam werden diese Aktivitäten in ein Konzept zur Überarbeitung der Infostation münden. Das Ergebnis des Umgestaltungsprozesses soll beim 150-jährigen Institutsjubilä- um im Sommer 2025 vorgestellt werden. ∎

Carl Trolls Büste mit anregenden Ergänzungen

LITERATUR
Schlottmann, A. und J. Wintzer (2019): Weltbildwechsel: Ideengeschichten
geographischen Denkens und Handelns. Stuttgart
Winiger, M. (Hrsg.) (2003): Carl Troll: Zeitumstände und Forschungspers- pektiven. Kolloquium im Gedenken an den 100. Geburtstag von Carl Troll. (Colloquium Geographicum 26) Sankt Augustin

KONTAKT
Tobit Nauheim
Geographisches Institut der Universität
Bonn
nauheim@uni-bonn.de

Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 5-2024 erschienen.