PeriMobil – Mobilität in peripheren ländlichen Räumen verstehen
„Mobilitätswende“ – das klingt nach Lastenrad, Tram und Elektroauto. Mobilität in ländlichen Räumen hat indes das Image rußender Diesel und verwaister Haltestellen. Klischee oder Realität? Am Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig ist das Projekt PeriMobil dieser Thematik nachgegangen.
Fallstudien in Grenzgemeinden
Die Wahl der Untersuchungsgebiete fiel auf zwei Gemeinden in Sachsen: Johanngeorgenstadt an der tschechischen Grenze und Arzberg an der Grenze zu Brandenburg. Die Grenzlagen stellten eine gewollte Herausforderung dar, denn Daten zur Alltagsmobilität in ländlichen Räumen sind besonders grenzübergreifend rar. Daher wurden Mobilfunk- und Strava Fahrraddaten sowie Krankenkassendaten zur Analyse der Gesundheitsmobilität herangezogen. In allen Quellen war neben den weiten Wegen vor allem der Einfluss der Binnen- und Landesgrenzen auffällig.
Datenanalyse und Austausch
Die Daten wurden mit der am Leibniz-Institut für Länderkunde entwickelten Software hin&weg aufbereitet. Sowohl mit der kostenfreien Desktop-Variante als auch mit der im Rahmen des PeriMobil-Projekts erstellten Online-Version lassen sich Quelle-Ziel-Daten wie Pendler- oder Wanderungsbewegungen einfach analysieren und in Grafiken und Kartogramme überführen. Eine starke Einbindung der lokalen Bevölkerung zu gewährleisten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu nutzen und Vertrauen für zukünftige Forschungsprojekte aufzubauen, war ein Hauptanliegen des Projekts. Dazu fanden in den Gemeinden Workshops statt – in der Anfangsphase, um über das Vorgehen zu informieren, zum Projektende, um die Ergebnisse mit ortsansässigen Fachleuten und interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.
Verlustängste und Mobilitätsstrategien
Die Beteiligung der lokalen Bevölkerung war nicht nur ideell von Bedeutung, sondern zentral, umMobilitätshandeln vor Ort zu verstehen. In biografischen Interviews wurde die starke und oftmals unfreiwillige Abhängigkeit vom Pkw deutlich, die Verlustängste und ein Gefühl der Isolation auslöst. In ihrem Alltag entwickeln die Befragten diverse Mobilitätsstrategien, wie die Bündelung von Wegzwecken, Fahrdienste oder Fahrtverzichte. Ergebnisse der Datenanalysen wurden in den Interviews kontextualisiert und dienten als Gesprächsimpulse. Für zukünftige Projekte im Feld der Mobilitätsforschung wurde mit MyMobilityVision zusätzlich ein kostenfreies Open-Source-Umfragetool entwickelt, das raumspezifsche Befragungen durch eine Kartenfunktion ermöglicht.
Fazit
Die Alltagsmobilität in peripheren Räumen ist komplexer als oftmals dargestellt. Gerade das von vielen geäußerte Unbehagen, vom eigenen Pkw abhängig zu sein, ist ein wichtiges Signal für Diskussionen zu Mobilitätswende. Deutlich wurde überdies, dass sich urbane Lösungen nicht einfach in den ländlichen Raum übertragen lassen. Was sich als Alltagsmobilitätslösung abzeichnet, ist eine Mischung aus wohnortnaher Versorgung, koordinierten bzw. On-Demand-Angeboten im ÖPNV und – mittelfristig – wohl auch noch dem Pkw.
KONTAKT
Dr. Wladimir Sgibnev, w_sgibnev@leibniz-ifl.de
Dr. Tim Leibert, t_leibert@leibniz-ifl.de
Jonathan Gescher, j_gescher@leibniz-ifl .de
alle: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL), Leipzig
Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 11-2024 erschienen.