Arbeitskreise – Berichte
AK Religionsgeographie
Arbeitskreistreffen im alten Schloss von Dornburg
Am 21. und 22. November 2024 fand im Alten Schloss von Dornburg das jährliche Treffen des Arbeitskreises Religionsgeographie statt. Die Veranstaltung bot eine Plattform für den interdisziplinären Austausch zwischen Geograph:innen, Religionswissenschaftler:innen und weiteren Interessierten. Sie zeichnete sich durch eine breite thematische Vielfalt aus, die von der zunehmenden Bedeutung digitaler Räume für religiöse Praktiken bis hin zu transnationalen Netzwerken und historischen Perspektiven reichte. Zu Beginn reflektierte Joachim RATHMANN (Augsburg/Würzburg) über das Potenzial einer Rückbesinnung auf Ehrfurcht gegenüber der Welt und deren potenziellen Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen Zukunft des Planeten. Die nachfolgenden Sitzungen widmeten sich insbesondere dem Einfluss digitaler Räume auf religiöse Praktiken und Identitäten. Beiträge von Lisa Maria FRANKE (Ghent) und Daniel JARA (Bern) beleuchteten digitale Räume als Orte religiöser Interaktion, während Sungsoo HONG (Jena) und Henrik GASMUS (Berlin) theoretische Perspektiven zu Digitalität und religionsgeographischer Forschung einbrachten. Darüber hinaus bot die Tagung Einblicke in aktuelle religionsgeographische und religionswissenschaftliche Forschungsprojekte: Simon RUNKEL (Jena), Diana LUNKWITZ (Hamburg), Stefan VAN DER HOEK (Bochum), Lena DALLYWATER (Leipzig), Franziska SANDKÜHLER (Jena) und Michael WERMKE (Jena) präsentierten ihre Arbeiten, die sich mit transnationalen Netzwerken, historischen Entwicklungen und globalen Verknüpfungen befassten. Neben den inhaltlichen Diskussionen wurden auch zukünftige Arbeitsschwerpunkte des AK besprochen.
Zudem verabschiedete der Arbeitskreis die bisherigen Sprecher Matthias GEBAUER (Bayreuth) und Edgar WUNDER (Hannover) und wählte ein neues Sprecher:innenteam: Künftig vertreten Frank MEYER (Leipzig), Franziska SANDKÜHLER (Jena), Diana LUNKWITZ (Erlangen) und Stefan VAN DER HOEK (Bochum) den Arbeitskreis.
Kontakt
Frank Meyer
f_meyer@leibniz-ifl.de
Weitere Informationen
Aktuell wird die Website des AK (ak-religionsgeographie.de) überarbeitet. Dort sollen auch zukünftig Informationen zu den Tätigkeiten, Publikationen
und Veranstaltungen des Arbeitskreises verfügbar sein.
AK Stadtzukünfte
Urbane Transformation Ruhr: Herausforderungen und Perspektiven
Das 51. Treffen des Arbeitskreises Stadtzukünfte stellte Fragen zu den Herausforderungen der urbanen Transformation in den Mittelpunkt und diskutierte diese am Beispiel des Ruhrgebiets. Dazu wurde in Kooperation mit dem Kompetenzfeld Metropolenforschung (KoMet) der Universitätsallianz Ruhr ein spannendes Programm an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis zusammengestellt. Den Auftakt bildete die Keynote von Prof. Dr.
Uwe SCHNEIDEWIND (Oberbürgermeister von Wuppertal und ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie): „Vom Wissenschaftler zum Oberbürgermeister: Zu den Fallstricken und Lichtblicken urbaner Transformation“. Dabei fokussierte er insbesondere auf die Gräben, die sich aufgrund unterschiedlicher Interessen zwischen wissenschaftlichen Tätigkeiten und Kommunalpolitik auftun (können). Er berichtete, wie spannende und innovative Ansätze und Konzepte zur Stadtentwicklung (in Wuppertal) immer wieder durch alltägliche kommunalpolitische Verwerfungen ausgebremst werden. Der weitere Programmverlauf zeigte jedoch, dass und wie Kommunen und regional wirkende institutionelle Akteure mit Elan vorangehen können. So erläuterte der Regionaldirektor des Regionalverbands Ruhr, Garrelt DUIN, das Narrativ des Wegs zur „grünsten Industrieregion der Welt“. Susanne LINNEBACH von der Emschergenossenschaft/Lippeverband stellte bildreich die verschiedenen Maßnahmen für die nächste Etappe der sozialökologischen Transformation in der Emscher-Region vor, und Nina FRENSE, Geschäftsführerin der IGA Metropole Ruhr 2027, zeigte wichtige Impulse zum Wandel im Quartier auf. Prof. Dr. Thorsten WIECHMANN (Fakultät Raumplanung der TU Dortmund) stellte als wissenschaftliche
Kommentierung vier Szenarien der Stadt der Zukunft vor, um aufzuzeigen, worauf
sich die Planung einzustellen habe. (Der Beitrag und die aufwendige Datenrecherche sind in der Zeitschrift RaumPlanung 2-2024 noch einmal nachzulesen.) Anschließend wechselte die Perspektive zur kommunal-lokalen Ebene, wurden Projekte zu Duisburg-Hochfeld vorgestellt, wo sozioökonomische Dimensionen der Transformation besonders „drücken“. Dr. Svenja HAFERKAMP (kommunale Wohnungsbaugesellschaft GEBAG mbH), die die Tagung programmatisch mitgestaltet hatte, berichtete von Tätigkeiten, Flächenentwicklungen und Visionen der GEBAG für den Stadtteil. Dabei wurde deutlich, dass Stadtentwicklung nicht immer ein profitables Geschäft ist. Wohnungsbau zieht in attraktiven Stadtteilen und Städten Investoren an, doch diese Marktlogik funktioniert in vielen nicht wachsenden Stadtteilen nicht. Ibrahim YETIM (Geschäftsführer des Projekts „Urbane Zukunft Ruhr“) betonte daher die Notwendigkeit anderer Ansätze auf kommunaler Ebene, um Stadtentwicklung sozial und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu gestalten. Ernüchternd wirkte dagegen der Beitrag von Prof. Dr. Uta HOHN (Ruhr-Universität Bochum), der auf Grundlage wissenschaftlicher Begleitforschung die Resultate der in den letzten Jahren verfolgten städtischen Ansätze scharf kritisierte, auch wenn die guten Absichten durchaus anerkannt wurden. Dies führte zu einer kontroversen Diskussion, die u.a. wieder auf die im Keynote Vortrag bereits skizzierte Diskrepanz zwischen manchmal „abgehoben“ wirkenden wissenschaftlichen Perspektiven einerseits und politik- (bzw. interessen-)gesteuerten und auf Umsetzung fokussierten Praktikern andererseits sehr deutlich machte. Umso wichtiger war es, nach dieser heftigen Abschlussdiskussionen am Folgetag gemeinsam „ins Feld“ zu gehen, um Projekte der Stadtteil und Flächenentwicklung der GEBAG kennenzulernen (z. B. Projekt „Urban Zero“ in Ruhrort, Wedau Süd, Wedau Nord und Duisburger Dünen). An allen Standorten gaben uns involvierte Praktiker Einblick in ihre Arbeit und konkrete alltägliche Herausforderungen. Die Tagung hat wieder einmal gezeigt, dass Stadtentwicklung – auch und gerade im Sinne der anstehenden urbanen Transformation – hochpolitisch ist und nur über vielfältige und immer wieder lokal entwickelte und regional eingebettete Pfade möglich ist. Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis ist dabei wichtig, sowohl um gute Stadtgeograph*innen auch für die Praxis auszubilden, als auch um notwendige Reflexion und positive Kritik formulieren zu können. „Die“ Stadtgeographie kann diesbezüglich Denkräume bieten, Initiativen begleiten und Forschungsprojekte anstoßen. Auf der nächsten AK-Tagung im Sommersemester 2025 soll dieser Diskurs mit Forschungsbeiträgen aus Theorie und Praxis konstruktiv fortgesetzt werden (Termin
folgt).
Ludger Basten, Ulrike Gerhard & Uta Hohn
AK Labour Geography
Bericht zum Vernetzungstreffen 2025
Das diesjährige Vernetzungstreffen des Arbeitskreises (AK) Labour Geography fand am 13. und 14. Februar am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz in Österreich statt. In der Geschichte des 2020 gegründeten Arbeitskreises war es mit über 50 Teilnehmenden das bisher größte Treffen. Rund um den thematischen Schwerpunkt „Labour Geography – Who cares?“ standen dabei arbeitsgeographische Fragen von Care und sozialer Reproduktion im Fokus.
Schwerpunkt: Care-Arbeit und soziale Reproduktion
In einem breiten Programm mit zwölf inhaltlichen Sessions setzten sich die Teilnehmenden an beiden Tagen sowohl in klassischen Paper-Sessions als auch in offeneren Formaten wie Workshops, gemeinsamen Diskussionen und Feedbackrunden zu neuen Forschungsskizzen mit Arbeitsverhältnissen in verschiedenen Sektoren auseinander – bspw. dem Gesundheits- und Pflegesektor, der Landwirtschaft und dem Energiesektor. Durch Forschungsvorhabens zu einer von jungen Menschen aus der Arbeiter*innenklasse getragenen Kampagne im Großraum Manchester vor. Sie zeigte dabei die Relevanz intimer Beziehungen und Orte, sogenannter intimiate infrastructures, für das Gedeihen von sozialen Bewegungen auf und machte indes auch diese Form der reproduktiven Arbeit sichtbar. In der Abend-Keynote von John HOLLOWAY und Lucí CAVALLERO mit dem Titel „Doing Emancipation Against Authoritarian Capitalism“ diskutierten die beiden Vortragenden ihre Sicht auf die Spielräume und Bedingungen progressiver Politik unter den Bedingungen eines immer autoritärer werdenden Kapitalismus. Vor dem Hintergrund der ultrarechten Milei-Regierung in Argentinien sprach CAVALLERO über die Notwendigkeit feministischer Analyseperspektiven, um
die differenzielle Betroffenheit von Prekarisierung und Gewalt aufzuzeigen. HOLLOWAY bot eine klassische Reflexion: Im allseits verbreiteten Schrei der Entrüstung gegen die gegenwärtigen Verhältnisse liege die Grundlage emanzipatorischer Politik und sie solle auch als Angelpunkt der Reflexion der gegenwärtigen autoritären Wende gesehen werden.
Care-Arbeit in der Forschung und Lehre
In der Tradition des AK Labour Geography blickten wir auch auf unsere eigenen Arbeitsbedingungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Den Aufschlag machten Sarah WACK und Heide BRUCKNER (Universität Graz) mit einer Reflexion zu academic care work. Darunter fassten sie eine Vielzahl an Aufgaben wie die emotionale Unterstützung für Kolleg*innen und Studierende, Mentoring sowie akademische Selbstverwaltungsaufgaben. Basierend auf ihrer empirischen, qualitativen Forschung konnten sie aufzeigen, dass diese reproduktive Arbeit an Universitäten oftmals unsichtbar bleibt, wenig geschätzt bzw. nicht von allen gleichermaßen getragen wird. Diese unbezahlte Mehrarbeit ist gerade mit Blick auf die Besetzung von Stellen höchst problematisch, denn für diese zählen Engagement in Lehre und Gremien weit weniger als quantifizierbare Outputs in der Forschung. Im Anschluss diskutierten wir im Plenum relevante Herausforderungen und Schwierigkeiten, die wir in diesem Kontext selbst erleben. Daher tauschten wir uns auch über Organisierungsstrategien aus, die bereits an Forschungsstandorten umgesetzt werden. Hierbei fielen Stichworte wie das Sichtbarmachen von Care-Verantwortung im Forschungs- und Lehrbetrieb, eine verstärkte Zusammenarbeit mit Gewerkschaften sowie das Zusammenhalten und gegenseitige Stärken unter Kolleg*innen am Institut.
What’s next? Labour Geography in der
Humangeographie verankern!
Die Tagung endete mit einer Reflexions- und Planungsrunde für das kommende Jahr. Im Februar 2026 wird das Treffen an der Universität Halle (Saale) stattfinden. Der genaue Termin wird derzeit abgestimmt und dann auf der Webseite des AK veröffentlicht. Das Vorbereitungsteam freut sich über weitere Menschen, die mitorganisieren möchten. Meldet Euch bei Interesse gern direkt bei den Sprecher*innen. Die bisherigen Sprecher*innen, Barbara ORTH, Christiane MEYER-HABIGHORST, Stephan LIEBSCHER und Yannick ECKER, werden den Arbeitskreis Labour Geography erneut für ein Jahr vertreten. Dabei soll die Arbeitsgeographie weiter in der deutschsprachigen Humangeographie verankert werden: zum einen durch den Austausch von Syllabus und Lehrmaterialien, zum anderen durch Panels bei der Tagung Neue Kulturgeographie im Herbst 2025 sowie einer Sommerschule im Sommer 2026.
Last but not least: Ein großes Dankeschön an die Organisator*innen!
Einen großen Dank möchten wir abschließend dem Orga-Team um Anna VERWEY, Christiane MEYER-HABIGHORST, Janne LENTZ, Nikolaos GATSINOS, Rivka SALTIEL und William WESTGARD-CRUICE aussprechen, welche die Tagung als hybrides Team von verschiedenen Standorten aus organisierten. Durch ihre Bemühungen erhielt die Tagung einen sehr persönlichen und produktiven Charakter und ermöglichte es dem AK, zusammen mit der öffentlichen Abend-Keynote, sowohl in den wissenschaftlichen als auch städtischen Diskurs zu intervenieren. Darüber hinaus möchten wir uns ganz herzlich bedanken bei allen Helfer*innen vor Ort in Graz, dem Catering von Julia WALK, dem Netzwerk Labour Geography, allen Session und Panelmoderator*innen, den Vortragenden und den Teilnehmenden für ihre Mitwirkung und Unterstützung bei diesem gelungenen Treffen!
Weitere Informationen
Aktuelle Informationen dazu sowie die Möglichkeit, sich in unsere Mailingliste einzutragen, finden sich auf der Webseite des AK Labour Geography. Stay tuned!
Kontakt
kontakt@ak-labourgeography.de
Barbara Orth, Christiane Meyer-Habighorst, Stephan
Liebscher & Yannick Ecke
AK Raumphänomenologie
(Raum-)Phänomenologie & Gesellschaftstheorie
Vom 16. bis 18. Januar 2025 traf sich der Arbeitskreis „Raumphänomenologie“ der DGfG/VDGH zu seinem zweiten Treffen im Iwalewahaus der Universität Bayreuth. 25 Geographinnen und Geographen diskutierten diesmal unter dem Thema „(Raum-)Phänomenologie & Gesellschaftstheorie“. Den Auftakt machte Jürgen HASSE (Frankfurt) mit seiner Keynote „Stille – Atmosphären und Stimmungen im Raum“. Seine Annäherung an die „Stille“ eröffnete Jürgen HASSE mit dem Aufzeigen der Herausforderung an die Stille als Phänomen. Diese ist zuerst zu begreifen, und erst dann kann der Versuch erfolgen, diese zu verstehen. Folglich ist die erste Aufgabe nicht, zu definieren, was „die“ Stille ist, sondern zu beschreiben, wie sie als Situation erlebt wird. Hier zeigte er mannigfaltige mannigfaltige Formen von Stille im Raum auf und wie diese unter anderem in der Kunst oder Architektur zum Ausdruck und zur Geltung kommen. Der sehr dichte und inspirierende Vortrag wurde zunächst intensiv im Plenum und später beim gemeinsamen Abendessen diskutiert. Der zweite Tag des Treffens begann mit Beiträgen zum Themenfeld der Philosophischen Anthropologie. Eberhard ROTHFUSS (Bayreuth) eröffnete mit seinem Vortrag „Die Philosophische Anthropologie als Gesellschaftstheorie der Moderne – Geographische Reflexionen zu Helmuth PLESSNERs Grenzen der Gemeinschaft‘“. Er zeigt die Potentiale auf, die die Philosophische Anthropologie für eine zeitgenössische Gesellschaftstheorie bietet, indem der Vortrag an die „unverbrüchliche dialektische Verbindung von Gemeinschaft und Gesellschaft als Verwirklichungsweisen sozialen Daseins (…)“ (PLESSNER 1955: 342) erinnerte, die PLESSNER klar trennte und deren Anforderungen unterschiedlich zu formulieren sind.
Mit diesem Diktum PLESSNERS erinnerte ROTHFUSS daran, dass und warum die Sehnsucht nach einem (auch derzeit populären) überzogenen Gemeinschaftsideal für das Zusammenleben problematisch ist, da es für das Individuum zu Unfreiheit
und Totalitarismus führen kann. Thomas DÖRFLER (Jena) schloss sich mit seinem Vortrag „Der Raum ist der Freund des Seins – life world analysis und Raumerfahrung als methodologische und konzeptionelle Herausforderungen“ an. Er ging dabei auf die methodologischen und konzeptionellen Herausforderungen der Raumerfahrung ein, die sich daraus ergeben, wenn man in der Schützschen Tradition die Analyse der Lebenswelt(en) in den Mittelpunkt rückt. Damit fokussiert man darauf, wie jeder Mensch seinen Alltag unter bestimmten, konkreten Bedingungen pragmatisch meistert. In diesen Pragmatiken sind vielfältige (und notwendige) Raumbezüge inkorporiert, die besonderes methodologisches Augenmerk erfordern, um sie als Grundlage („Freund“) des Lebensvollzuges begreifen zu können. Serge Leopold MIDDENDORF (Augsburg) beschloss das Panel mit seinem Beitrag „Zwischen Grenze und Grenzerfahrung: Versuch einer gesellschaftstheoretischen Diagnose mit Helmuth PLESSNER und Karl JASPERS“. Dabei analysierte er Grenzerfahrungen im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche mithilfe von PLESSNER und JASPERS. Kernargument war dabei, dass Räume als Schauplätze von Grenzsituationen betrachtet werden können, in denen sich die Spannung zwischen Individuum und Welt manifestieren, an denen Individuen das Umgreifende erfahren und neue Horizonte erschließen können. Nach der Pause folgte eine Lektüresitzung
mit Rebekka ATAKAN (Bonn) zu „Eigentlichkeit und Verdinglichung: Fragen zum Verhältnis von Mensch und Gesellschaft“. Darin diskutierte sie beide Begriffe im Kontext des Verhältnisses von Mensch und Gesellschaft. Besonderer Fokus lag dabei auf der Frage nach der Primordialität von Individuum oder Gemeinschaft/Gesellschaft. Die Grundlage
bot der Text „Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie“ von Theodor W. ADORNO, an dem dieses Spannungsverhältnis diskutiert wurde. Im zweiten Panel des Tages ging es um „Landschaft und Gefühl: Eine neopragmatistische Perspektive auf Landschaftskonflikte im Kontext der Philosophie FICHTES mit Impulsen zur Redeskription der Humanistischen Geographie“ mit Olaf KÜHNE, Petra LOHMANN und Karsten BERR (Tübingen und Siegen). Sie zeigten, wie Emotionen und Gefühle in der Humanistischen Geographie verhandelt werden können und welche Rolle diese in Landschaftskonflikten spielen und wie mittels der neopragmatistischen Idee der „Redeskription“ die Kluft zwischen kognitiven und emotionalen Zugängen zu Landschaft überbrückt werden kann. Robert LÄMMCHEN (Frankfurt) hielt einen Vortrag über „Phänomen und System. Zur Beobachtung neuwertiger Raum- und Zeitsemantiken in Anlehnung an Bernhard WALDENFELS und Niklas LUHMANN“. Er argumentierte, dass sich die Semantiken von Raum und Zeit durch die zunehmende Algorithmisierung der Alltagserfahrungen verändern und dass Phänomenologie und Systemtheorie eine nützliche Symbiose zur Untersuchung eingehen können, um beides angemessen
zu thematisieren. Lukas PIEROTH (Koblenz) rundete das Panel mit seinem Vortrag „Intentionalistische Sozialtheorien? Überlegungen zu Intentionalitätsformen sozialer Raumzeit am Beispiel der border studies“ ab. Ihm ging es darum, diese als Heuristik zu verstehen, um sinnbildende Erfahrungen, sinngebende Erlebnissituationen und sinnstiftende Ausdrucksformen in ihrer Bedeutung beschreiben und erfassen zu können, und er eröffnete damit einen neuen phänomenologischen Analysehorizont (auch) für Raumerfahrungen. Im Anschluss an die Kaffeepause folgte ein Vortrag von Susanne LUTZ (Berlin) zum Thema „Hier spricht der Ort – Ein holistischer Zugang zur Umwelt schafft neue Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten“. Dabei standen vor allem verschiedene Formen der Verbindung mit der Natur im Vordergrund, die sie aus ihrer pädagogischen und therapeutischen Praxis einbrachte, und die auch in der angewandten Stadtplanung hilfreich sein können. Den Abschluss des Tages bildete die Keynote von Wolf-Dietrich SAHR (UFPR, Brasilien) mit dem Titel „Gekreuzte Horizonte – Phänomenologien
im interkulturellen Kontakt des Trikonts“. In diesem Vortrag eröffnete er anhand des Begriffs Horizont (im Sinne der Phänomenologie von A. SCHÜTZ) Möglichkeiten, interkulturelles Wissen mit phänomenologischen Wissensstrukturen zu verstehen. Insbesondere vor dem Hintergrund der gewaltsamen, aber auch synkretisch durchsetzten Globalgeschichte des Trikonts versuchte er, die Beiträge der afrikanischen und neo afrikanischen Philosophie, Anthropologie, Soziologie und Geographie aus dem Umfeld der Bantu-Kulturen dialogisch in Wert zu setzen. Am dritten Tag folgte ein weiteres Panel, welches Leon FUCHS (Frankfurt) mit seinem Vor trag „Immersive Mikrologien: Eine geographiedidaktische Perspektive auf das Potenzial von Virtual Reality-Technologien zur Diskussion von Zukünften individueller Erfahrungen“ eröffnete. Der Einsatz von VR ermöglicht immersive Erlebnisse, die individuelle Erfahrungen von räumlichen und zeitlichen Begrenzungen lösen und so die Zukunft erfahrbar machen. Der Beitrag diskutierte die Möglichkeiten, VR zur Gestaltung und Reflexion von Zukunftsvisionen im Unterricht einzusetzen. Klaus GEISELHART (Erlangen-Nürnberg) referierte zum Thema „Von Persönlichkeiten und ihren Resonanzräumen – Zur Phänomenologie der Person“. Er zeigte auf, wie Persönlichkeiten und ihre Resonanzräume zusammenhängen und welche Rolle die Phänomenologie, insbesondere nach Emmanuel LEVINÁS, dabei spielt. Besonders betont wurde das Dilemma der Diskussion über Persönlichkeiten im kritisch-akademischen Kontext. Dabei wurde argumentiert, dass die derzeitige Tendenz, Fragen der Legitimation gesellschaftlicher Repression auszusparen, einer Kapitulation vor den wichtigen Fragen der menschlichen Vergemeinschaftung gleichzukommen droht. Im letzten Vortrag der Tagung entfaltete Joachim RATHMANN (Augsburg/Würzburg) die These, dass die fortschreitende Digitalisierung der Lebenswirklichkeit Möglichkeiten der Erfahrung von Ehrfurcht zunehmend verhindert. Sowohl im Großen als auch im Kleinensind jedoch Ehrfurchtserfahrungen wichtig für eine demütige Haltung beispielsweise im christlichen Sinne gegenüber der Schöpfung oder im ökologischen Sinne gegenüber der Natur. Zum Abschluss des Treffens wurde über zukünftige Aktivitäten des Arbeitskreises diskutiert. Es wurde vereinbart, dass das nächste Treffen im Jahr 2026 entweder in Frankfurt oder in Jena stattfinden soll. Insgesamt eröffnete das zweite Treffen des Arbeitskreises „Raumphänomenologie“ zahlreiche neue Perspektiven auf die Beziehung von Phänomenologie und Gesellschaftstheorie. Insbesondere durch Bezüge zu aktuellen Themen wie Digitalisierung, Ethik(en) (in) der Globalisierung sowie Methodologien der phänomenologischen Erfassung zeitgenössischer Probleme wurde die Bedeutung phänomenologischen Denkens und Theoretisierens hervorgehoben. Die Vorträge und Diskussionen inspirierten dazu, sich diesen Themenfeldern weiter zu widmen und trugen außerdem dazu bei, die Vernetzung der Mitglieder des Arbeitskreises zu fördern.
Thomas Dörfler (Jena), Eberhard Rothfuß (Bayreuth) & Serge Leopold Middendorf (Augsburg)