Editorial
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
seit nun über fünf Jahren besteht das gemeinnützige An-Institut HeiGIT gGmbH am Geographischen
Institut der Universität Heidelberg. Die spezifische Konstellation ist sicher für Deutschland und weit darüber hinaus recht einzigartig, denn das Heidelberg Institute for Geoinformation Technology adressierte im Gegensatz zu kommerziell ausgerichteten Technologietransfer-Organisationen als außeruniversitäre Forschungseinrichtung vor allem den nichtkommerziellen, gemeinnützigen Sektor und bietet zahlreiche offene Lösungen zur freien Nutzung an. Dies umfasst einerseits Geodatenprodukte, aber v.a. auch auch Open-Source-Software und kostenlose Online-Dienste, sowie spezifische Analysen oder Trainings. Alle Ergebnisse sollen zum Nutzen von Gesellschaft und Umwelt eingesetzt werden und so gesellschaftlichen Impact erzielen. Daher sind wir an Kooperationen zur Nutzung, Weiterentwicklung und Forschung in den betroffenen Themen interessiert und freuen uns auf jegliches Feedback, das eine zielgerichtete Verbesserung der Ergebnisse ermöglicht.
HeiGIT gGmbH wurde offiziell im Jahr 2019 gegründet. Seine Wurzeln gehen auf ein Projekt zurück, das schon 2016 am Geographischen Institut der Universität Heidelberg gestartet wurde. Von Beginn an wird das Projekt wesentlich von der in Heidelberg ansässigen Klaus Tschira Stiftung gefördert. Ziel ist es, die Geoinformatik-Grundlagenforschung an der Universität in relevante praktische Anwendungen zu überführen. Dabei arbeitet HeiGIT eng mit der GIScience Research Group am Geographischen Institut der Universität Heidelberg zusammen, um die Lücke zwischen der universitären Grundlagenforschung und den Anforderungen der Praxis zu schließen.
Die inhaltliche Mission war von Anfang an klar: humanitäre Zwecke mit Geoinformationstechnologie
unterstützen, Lücken geographischer Informationen schließen und frei zugängliche Geodaten verbreiten. Dazu startete HeiGIT zunächst mit den drei Schwerpunkten „Big Spatial Data Analytics“ (zunächst mit dem Fokus auf Untersuchung der Datenqualität von OpenStreetMap),
„Smart Mobility“ (insbesondere Routing) und der Hauptanwendungsdomäne „Geoinformation for humanitarian Aid“. 2023 startete HeiGIT eine neue Initiative mit dem Ziel, eine der größten Herausforderungen unserer Zeit anzugehen – den Klimawandel. Dieses vierte Schwerpunktthema „Climate Action“ soll als zweites Haupanwendungsgebiet unter anderem ein breites Spektrum an hochauflösenden Klimaschutzindikatoren bereitstellen, wie zum Beispiel für die Bereiche Treibhausgase, Fahrradinfrastruktur und Bodenversiegelung. Diese räumlichen Indikatoren werden zusammen mit Nutzern entwickelt und auf die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Akteure zugeschnitten. So können diese auf Basis der Informationen gezielte Maßnahmen auf regionaler und lokaler Ebene ergreifen. Dabei wird sich das Team in einer ersten Phase auf ausgewählte Bereiche und Indikatoren konzentrieren, darunter:
- Erneuerbare Energien: z. B. und Ausbaupotenzial von Solar-/Photovoltaikpaneelen auf Dächern oder Fassaden;
- Treibhausgasemissionen: Schätzung der lokalen Emissionen unterschiedlicher Sektoren und deren Zuordnung zu bestimmten Quellen;
- Verkehr: Bewertung der Quantität und Qualität der Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer sowie der Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel
- Zugänglichkeit und Versorgung: Bewertung der Erreichbarkeit von relevanten Einrichtungen im Rahmen der 15-Minuten-Stadt, einem Stadtplanungskonzept, bei dem die Dinge des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können (u. a. für Mobilitäts-, Nahversorgungs-, Gesundheits-, Bildungs- und Freizeitzentren);
- Infrastruktur: Grünflächen (auch an Fassaden), Bodenversiegelung etc.
Für weitere Ideen sind wir offen und freuen uns auf Zusammenarbeit. Die Bereitstellung und Visualisierung der Daten und Ergebnisse im Web soll die Beteiligten in die Lage versetzen, informierte Maßnahmen zur Mitigation und Adaption der Klimakrise anzugehen. Eine Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Interessengruppen sowie lokalen Planungsbüros, Regierungsbehörden, Nichtregierungsorganisationen und natürlich auch Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern ist hierbei unerlässlich. Im Bereich der humanitären Hilfe benötigen internationale humanitäre Organisationen Geodaten und Karten, die zeigen, wo Menschen leben und wo relevante Infrastrukturen sind – zur Vorbereitung idealerweise schon vor dem Eintreten von Katastrophenereignissen. Die Erstellung von Karten und die Kartierung in OSM ist zeitaufwändig und erfordert Schulungen. Dies führt noch immer zu einem Mangel an geeigneten Geodaten insbesondere in Ländern des Globalen Südens. Zur Unterstützung humanitärer Missionen mit freien Geodaten und Geotechnologien etablierte HeiGIT/GIScience schon 2017 eine aktiv gelebte Partnerschaft mit dem Humanitarian OpenStreetMap-Team (HOT). HeiGIT arbeitet mit diesem gemeinsam an verschiedenen Projekten wie der MapSwipe-App, einer mobilen Anwendung zur Erkennung bestimmter Daten aus Satellitenbildern, Weiterentwicklungen des „openrouteservice für Disaster Management“ sowie der „ohsome“-Plattform (OpenStreetMap History Analytics Platform) zur Analyse der Entwicklung und Qualität von OpenStreetMap (OSM) Daten. Neue Aktivitäten betreffen die Unterstützung von Verfahren des maschinellen Lernens zur Unterstützung von Kartierungsaufgaben.
MapSwipe ist dabei eine mobile Open-Source-App, die Kartierungsaufgaben weltweit unterstützt. Diverse humanitäre Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), HOT und das Rote Kreuz nutzen MapSwipe, z. B. um besiedelte Regionen oder relevante Infrastrukturen wie Straßen zu identifizieren. Seit dem Start im Jahr 2016 ist MapSwipe auf über 90.000 Nutzer angewachsen, die in über 1500 MapSwipe-Projekten über 4,2 Mio. km2 kartiert haben. HeiGIT und die Forschungsgruppe GIScience haben daher den Crowdsourcing-Ansatz von MapSwipe originär konzipiert und entwickeln und pflegen heute die nötigen Backend-Komponenten. In der Kategorie „Beste mobile Innovation zur Unterstützung von Notsituationen oder humanitären Einsätzen“ wurde MapSwipe bei den Global Mobile Awards 2020 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Seit 2019 arbeiten wir zudem eng mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) zur Unterstützung internationaler humanitärer Projekte des DRK zusammen. HeiGIT ist Partner des „Anticipation Hub“, einer Plattform für den Wissensaustausch über vorausschauendes Handeln in der humanitären Hilfe und der Katastrophenvorsorge. Diese Kooperationen verstärkten den Fokus auf Forcastbased Action, das lokale Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge auf Basis regionaler Vorhersagemodelle bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte propagiert. Dabei unterstützt HeiGIT z. B. bei der Erhebung lokaler Daten, der Bewertung von Risiken und entwickelt Trigger-gestützte Workflows, um vorausschauendes Handeln zu ermöglichen.
Daneben entwickeln wir zur Unterstützung von partizipativen Kartierungen das „Sketch Map Tool“. Dies ist eine Online-Community-Mapping-Software zum gemeinsamen Sammeln von lokalem Raumwissen, das für die Katastrophenvorsorge und -bewältigung hilfreich ist. Für Studierende und weitere Interessierte veranstalten wir auch regelmäßig Missing Maps- Mapathons – auch über Heidelberg hinaus. Bei diesen Veranstaltungen können Freiwillige humanitäre Zwecke durch das Kartieren von Geodaten unterstützen. Schon 2018 feierte die aus früheren Forschungsprojekten
hervorgegangene Routing-Plattform „openrouteservice“ (ORS) ihr zehnjähriges Bestehen. Sie nutzt OSM-Daten und bietet weltweit unterschiedliche Funktionen im Bereich Routenplanung und Netzwerkanalyse (Isochronen etc.). ORS kann als Web-Dienst, als eigenständige Open-Source Software sowie über diverse Clients (Web, Python, R, QGIS-PlugIn) genutzt werden. Auf Basis dieser Software betreibt das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) für deutsche Behörden und Ämter seit 2017 den amtlichen Routenplanungsdienst „Routing Plus“. Zusammen mit dem BKG haben wir seitdem diverse Erweiterungen und Lösungen realisiert. So wurden auch die Erreichbarkeitsanalysen zum Versorgungsgrad der Bevölkerung zu Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten etc. der deutschen amtlichen Statistik (destatis) mittels ORS umgesetzt. Eine Besonderheit des „openrouteservice“ ist die große Anzahl von Routingprofilen – von Lkw bis Rollstuhlfahrer – mit diversen konfigurierbaren Optionen. Dies soll eine möglichst individuelle Routenplanung nach eigenen Kriterien unterstützen. Zum Beispiel untersuchen wir, wie
man die gesündesten, leisesten und Hitze-minimierenden, schattigen Rad- bzw. Fußgängerrou- berechnen kann (z. B. Projekt “HEAL”). Ergebnisse aus weiteren Forschungsprojekten wie “meinGrün” zeigen z. B. die besten Wege zu geeigneten Grünflächen in Städten.
ORS ermöglicht es dem Benutzer auch, Straßen, Gebiete und Länder auszuwählen, die während der Routenplanung vermieden werden sollen. Dies ist eine wichtige Option für die Logistik bei Katastrophen. Der spezielle „ORS für das Katastrophenmanagement“ kann dank hochaktueller OSM-Daten dazu beigetragen, dass Ersthelfer bei humanitären Krisen Brücken oder Straßen meiden bzw. umfahren können, falls diese blockiert oder beschädigt sind. Um die Dynamik der Veränderungen während einer Katastrophe zu berücksichtigen, definiert ORS für das Katastrophenmanagement kleine Gebiete, die in hoher Frequenz aktuelle OSM-Daten nutzen. Unbestritten hat sich OpenStreetMap (OSM) über die Jahre zu einer für viele räumliche Fragestellungen äußerst relevanten Datenbasis entwickelt. OSM wird weltweit in verschiedensten Anwendungen und sowohl von internationalen Großunternehmen als auch von Privatpersonen oder humanitären Organisationen genutzt. Die (OSM)-Gemeinschaft hat über zwei Millionen aktive Mitwirkende, von denen jeden Monat etwa 50.000 aktiv Daten beitragen. In der Wissenschaft wird OSM als ergänzender Datensatz genutzt, ist aber auch primärer Forschungsgegenstand. In vielen Weltregionen ist die OSM Datenqualität noch sehr heterogen. Wünschenswert ist daher die weltweite Berechnung von Datenqualitätsmaßen mit einer feinen räumlichen und zeitlichen Auflösung. Hierzu müssen regelmäßige Datenaktualisierungen durchgeführt werden. All dies bietet die in HeiGIT entwickelte Plattform „ohsome“ zur Analyse von OSM-Daten. Statistiken geben dabei einen Überblick über den Status quo von OSM in beliebigen Regionen sowie die zeitliche Entwicklung der Daten. Ausgewählte intrinsische Datenqualitätsmaße können per Mausklick berechnet werden. Zusätzlich ermöglicht „ohsome“ die Extraktion historischer OSM-Daten für die Verwendung in beliebigen GIS- und Analysewerkzeugen. „Ohsome“ umfasst heute einen umfangreichen Software-Stack mit unterschiedlichen Zugangsebenen von Entwickler-APIs bis QGIS-PlugIns oder Dashboards für Gelegenheitsnutzer. Zum Beispiel bietet die „ohsome quality API“ (OQAPI) verschiedene Optionen zur Analyse der OSM-Datenqualität mittels einfacher Reports und wird aktuell in das „ohsome“-Dashboard integriert. Aktuelle Entwicklungen stellen diese Daten zu „OSM full-history“ in modernen Formaten wie „GeoParquet“ zur Verfügung, was neue Einsatzmöglichkeiten bietet. Zunehmend nutzen wir Verfahren des maschinellen Lernens, um die Geoinformationen zu verbessern bzw. zu ergänzen oder eigene Datenprodukte zu realisieren (aktuell z. B. zur weltweiten Oberflächenbeschaffenheit von Straßen, zur Landnutzung oder zu Kläranalagen, da letztere einerseits wichtig für die Bereitstellung einer guten Wasserversorgung sind und andererseits durch die Emission von Methan zum Klimawandel beitragen). Diese kleine Zusammenstellung der Aktivitäten von HeiGIT soll exemplarisch illustrieren, wie aus ursprünglich universitärer Forschung an einem Geographischen Institut heraus geographische Informationen und Technologien ihren Beitrag zur Unterstützung praktischer Entscheidungen in gesellschaftlich relevanten Bereichen leisten
können. Wir danken der Klaus Tschira Stiftung für ihre kontinuierliche Unterstützung bei der Verwirklichung unserer Vision einer besseren Gesellschaft und Umwelt durch die Verbesserung von offenen und freien Geoinformationen und Geoinformationstechnologien. Alle in HeiGIT entwickelte Software und Daten werden mit freien Lizenzen als Open Source bzw. Open Data zur Verfügung gestellt, sodass sie von unterschiedlichsten Gruppen und natürlich auch anderen Geographinnen und Geographen für vielfältige Anwendungen leicht genutzt werden können. Wir freuen uns dabei immer auf Feedback!
Alexander Zipf, Heidelberg
Referenzen:
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