Veröffentlichungen

Rundbrief Geographie Heft 314

Veröffentlicht im Rundbrief 314

Editorial: 75 Jahre Geographische Wertschöpfung – eine Wunschliste für die Zukunft

Liebe Leserinnen und Leser,

im Jahr 2025 feiert der Deutsche Verband für Angewandte Geographie (DVAG) sein 75-jähriges Bestehen. Ein stolzes Jubiläum, das Anlass gibt, auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte zurückzublicken – und gleichzeitig den Blick nach vorn zu richten. Und wer Geburtstag feiert, darf sich auch etwas wünschen. Wir haben viele Wünsche
– nicht für uns selbst, sondern für die Geographie, ihre Gemeinschaft und ihre Wirkung
in der Gesellschaft.  Unser großer Wunsch ist es, die geographische Wertschöpfungskette (ein geflügeltes Wort im DVAG) noch stärker zu machen. Vom ersten Funken der Begeisterung in der Schule über ein fundiertes Studium an den Hochschulen bis hin zur vielfältigen Berufspraxis: Wir träumen von einer Kette, die lückenlos ineinandergreift, junge Menschen inspiriert, sie begleitet und sie schließlich befähigt, die Welt aktiv zu gestalten. Unsere Wünsche richten sich dabei nicht nur an den DVAG. Sie sind Ausdruck eines tiefen Verständnisses dafür, dass wir alle – die geographische Verbandsfamilie, die Universitäten, die Schulen und die Fachpraxis – nur gemeinsam diese Wertschöpfung entfalten können. Deshalb formulieren wir unsere Wünsche als Einladung an alle Teilverbände und an alle, die sich der Geographie verbunden fühlen.

Ein erster Wunsch: Begeisterung wecken – an Schulen und in der Lehrkräftebildung

Die Kette beginnt dort, wo junge Menschen zum ersten Mal mit Geographie in Berührung kommen: im Klassenzimmer. Hier legen Lehrkräfte den Grundstein. Die Geographie an Schulen zu stärken – im Stundenumfang, in den Inhalten, in ihrer Innovationskraft –, genau dafür setzt sich der Verband Deutscher Schulgeographie (VDSG) seit Jahrzehnten ein. Unser Wunsch ist es, den VDSG in seinem Einsatz zu unterstützen, etwa durch Veranstaltungen und Initiativen zu aktuellen Berufsfeldern, die zeigen: Geographie ist ein Schlüssel zum Verständnis der Welt und zur Gestaltung ihrer Zukunft. Doch gute Schulgeographie beginnt nicht erst in der Schule, sondern bereits in der Ausbildung von Lehrkräften. Der Hochschulverband
für Geographiedidaktik (HGD) leistet hier zentrale Arbeit. Unser Wunsch ist, dass die Ausbildung von Lehramtsstudierenden die Begeisterung für geographische Inhalte mit starkem Praxisbezug verbindet – sowohl didaktisch als auch inhaltlich.

Ziel ist es, nicht nur die Vermittlung geographischen Wissens zu lehren, sondern auch die vielfältigen beruflichen Möglichkeiten der Geographie aufzuzeigen. Denn wer Schülerinnen und Schüler für ein Fach begeistern will, muss ihnen auch zeigen können, wohin der Weg führen kann – etwa in Planungsämter, Umweltbüros, internationale Organisationen oder Unternehmen. Gerne bringt sich der DVAG mit entsprechenden Inhalten zumBeispiel bei den Tagen der Schulgeographie ein.

Ein zweiter Wunsch: Studium mit Blick nach draußen – und in die Welt

Nach der Schule führt der Weg geographiebegeisterter junger Menschen im besten Fall an die Universitäten. Der Verband für Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH) vertritt diese akademische Welt mit großem Engagement. Unser Wunsch ist eine Hochschullandschaft, die die Vielfalt und Innovationskraft der Geographie abbildet – und gleichzeitig systematisch die Brücke zur beruflichen
Praxis schlägt. Wir wünschen uns Studiengänge, die neben wissenschaftlicher Exzellenz auch anwendungsbezogene Kompetenzen fördern. Studieninhalte sollten Themen wie Projektmanagement, Kommunikation und Kooperation mit externen Partnerinstitutionen
selbstverständlich integrieren. Geographische Institute sollten zudem enge Beziehungen zu Akteurinnen und Akteuren aus Praxis, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft pflegen – sei es durch gemeinsame Projekte, durch Einbindung von Lehrbeauftragten oder durch Kooperationen mit Organisationen vor Ort. So werden Studierende frühzeitig mit realen Anforderungen und konkreten Fallbeispielen konfrontiert. Ein zentrales Anliegen ist uns das klare Bekenntnis zu angemessen dimensionierten Pflichtpraktika im Studium. Praxisphasen sind kein Randthema, sondern ein wesentliches Element geographischer Ausbildung. Sie ermöglichen es Studierenden, ihr Wissen im realen Kontext anzuwenden, berufliche Perspektiven auszuloten und Netzwerke für den Berufseinstieg zu knüpfen. Pflichtpraktika sollten nicht als formale Hürde verstanden werden, sondern als integraler Bestandteil eines Studienkonzepts, das auf Handlungsfähigkeit und Wirkung zielt. Zugleich ist Geographie eine zutiefst globale Disziplin. Kulturelle Sensibilität und ein tiefes Verständnis für globale Zusammenhänge lassen sich nicht allein im Seminarraum oder aus der Bibliothek heraus erwerben. Studierende müssen die Welt erleben, um sie wirklich zu verstehen – und um sie später im Berufsleben verantwortlich mitgestalten zu können. Exkursionen in Länder mit anderen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen sind dafür unverzichtbar. Besonders wertvoll sind Erfahrungen in Regionen, die mit globalen Herausforderungen verknüpft sind – etwa im Hinblick auf Klimawandel, demografische Entwicklungen, Ressourcenverteilung oder soziale Gerechtigkeit. Solche Exkursionen eröffnen neue Perspektiven, fördern interkulturelle Kompetenz und stärken das Bewusstsein für globale Zusammenhänge – eine Schlüsselqualifikation für viele Berufsfelder der Geographie.

Ein dritter Wunsch: Sichtbarkeit und Stärkung der Studierenden als Zukunft der Geographie

GeoDACH, die Vertretung der Geographiestudierenden, gibt der nächsten Generation eine starke Stimme. Unser Wunsch ist, dass diese Stimme noch häufiger gehört und aktiv einbezogen wird. Denn Studierende sind nicht nur Lernende, sondern Mitgestaltende. Sie bringen neue Perspektiven, Fragen und Impulse ein, die die Disziplin weiterentwickeln können. Wir wünschen uns, dass Studierende als eigenständige Akteurinnen und Akteure innerhalb der geographischen Wertschöpfungskette gesehen werden – nicht nur am Übergang von Studium zu Beruf, sondern auch als aktive Mitwirken de an der Weiterentwicklung der Geographie selbst. Ihre Sicht auf gesellschaftliche Herausforderungen, auf Studienbedingungen, Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit ist unverzichtbar für ein zeitgemäßes Fachverständnis. Zugleich stellen sich viele Studierende die Frage: Was kann ich mit meinem Geographiestudium konkret anfangen? Welche Berufsfelder stehen mir offen? Wo kann ich meine Kompetenzen einbringen und weiterentwickeln? Unser Wunsch ist, dass diese Fragen frühzeitig beantwortet werden – durch gezielte Beratung, durch sichtbare Vorbilder aus der Praxis und durch einen realistischen, ermutigenden Einblick in Berufsperspektiven. Wir wünschen uns systematische Formate zur Berufsorientierung, die ins Studium integriert sind: Exkursionen mit Praxisfokus, Berufsfeldveranstaltungen mit Arbeitgebern, Planspiele mit realen Fallstudien oder Peer-Angebote zwischen fortgeschrittenen und neuen Studierenden. Denn je früher die Vielfalt möglicher Wege sichtbar wird, desto klarer kann der eigene gefunden
werden – mit Motivation und Zielstrebigkeit. Kurz: Unser Wunsch ist eine Studienzeit, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern Identifikation schafft, Netzwerke aufbaut, Orientierung gibt und Türen öffnet – hinein in eine berufliche Zukunft mit geographischem Profil und gesellschaftlicher Verantwortung.

Ein vierter Wunsch: Gestaltungswille als Markenkern der Geographie sichtbar machen

Geographie ist weit mehr als die Analyse von Räumen – sie ist Gestaltung. Unser Wunsch ist,
dass dieser Gestaltungsanspruch der Geographie noch deutlicher wahrgenommen und anerkannt wird – in der Öffentlichkeit, bei Entscheidungsträgerinnen und -trägern und innerhalb der eigenen Fachgemeinschaft. Längst beschränkt sich Geographie nicht mehr
auf die Beobachtung räumlicher Strukturen Fachleute aus der Geographie entwickeln Konzepte, moderieren Veränderungsprozesse, entwerfen Zukunftsbilder und bringen unterschiedliche Akteursgruppen aus Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Sie übernehmen Verantwortung – für lebenswerte Städte, resiliente Regionen, nachhaltige Mobilität oder partizipative Planung. Sie handeln nicht reaktiv, sondern proaktiv. Wir wünschen uns, dass genau dieser Gestaltungswille als Markenkern der Geographie stärker ins Zentrum gerückt wird. In Zeiten globaler Umbrüche braucht es Disziplinen, die komplexe Herausforderungen nicht nur analysieren, sondern auch lösungsorientiert angehen. Die Geographie hat dafür ein einzigartiges Profil: interdisziplinär, vernetzt, raumbasiert, zukunftsgerichtet. Der DVAG begleitet, fördert und fordert diesen Gestaltungsanspruch seit nunmehr 75 Jahren – durch Netzwerke, Weiterbildung, fachlichen Austausch und konkrete Impulse in die Praxis. Als Plattform für Angewandte Geographie ist es unser Selbstverständnis, Gestaltung zu ermöglichen und sichtbar zu machen. Und wir wünschen uns, dass dieser Anspruch auch weiterhin unsere berufliche Identität und öffentliche Wahrnehmung prägt.

Ein fünfter Wunsch: Netzwerke stärken – für eine gemeinsame geographische Zukunft

Eine starke Wertschöpfungskette lebt von starken Verbindungen. Unser Wunsch ist daher, dass der Austausch innerhalb der Verbände weiter intensiviert wird. Schulen, Hochschulen, Didaktik, Studierende und Praxisakteurinnen und -akteure sollen nicht nebeneinanderher arbeiten, sondern gemeinsam die Zukunft der Geographie gestalten. Die Zusammenarbeit innerhalb der geographischen Verbandsfamilie bietet vielfältige Mehrwerte: Sie ermöglicht abgestimmte Positionierungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit, fördert die Bündelung von Ressourcen in der Weiterbildung, erleichtert die Nachwuchsförderung über Verbandsgrenzen hinweg und stärkt ein gemeinsames Verständnis geographischer Professionalität. Nicht zuletzt fördert eine enge Kooperation das Wir-Gefühl innerhalb der Geographie und trägt zur Identitätsbildung einer starken, sichtbaren und einflussreichen Verbandsgeographie bei. Wir wünschen uns – unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Geographie oder zwischen einzelnen Teilverbänden – mehr gemeinsame Veranstaltungen, themenübergreifende Projekte, Publikationen mit unterschiedlichen Perspektiven und einen kontinuierlichen Austausch über Erwartungen, Bedürfnisse und Chancen. Wir wünschen uns, dass wir nicht nur über Schnittstellen reden, sondern sie aktiv leben. Nur gemeinsam können wir das große Potenzial der Geographie entfalten.

Schlussgedanken: Wünsche, die zugleich Aufgaben sind

75 Jahre DVAG – das sind 75 Jahre Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Bildung und Beruf. Unsere Wünsche sind keine Träumereien, sondern konkrete Aufgaben. Sie sind Einladung und Auftrag zugleich, die geographische Wertschöpfungskette weiterzuentwickeln, zu stärken und in ihrer ganzen Breite sichtbar zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten – für Schülerinnen und Schüler, für Studierende, für Berufseinsteigende und für alle Geographinnen und Geographen, die mit ihrer Arbeit tagtäglich zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen. Denn selten war geographisches Denken und Handeln so notwendig wie heute. Ich lade alle, die sich der Geographie verbunden fühlen, herzlich ein, das 75-jährige Jubiläum des DVAG in Augsburg mit uns zu feiern: Bei der Fachtagung „Resilienz in Städten und Regionen“ am 26. September 2025 (Anmeldung unter www.geographie-dvag.de) oder beim festlichen „Abend der Geographie“ am 27. September 2025, den wir zusammen mit dem VGDH ausrichten. Vielleicht bringt jemand sogar ein „passendes“ Geschenk mit – in Form einer Idee, eines Beitrags oder einfach eines guten Gesprächs.

Herzliche Grüße
Dr. Bernhard Kräußlich
Vorsitzender des Deutschen Verbands für
Angewandte Geographie (DVAG)