Editorial: Erdsystemwissenschaften in der Schule
LIEBE KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN,
die Geographie ist als Wissenschaftsdisziplin nicht nur direkt in der universitären Ausbildung verankert, sondern prägt auch als Schulfach Geographie/Erdkunde Studium und Lehre in essentieller
Weise. Die Lehramtsausbildung stellt ein Privileg unseres Faches dar, welches den Geographischen Instituten eine Integration von universitärer, beruflicher, schulischer und didaktischer Ausbildung ermöglicht. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Fachs Geographie, nicht nur eine große Themenbreite abzudecken, sondern auch die Vernetzung von sozial-, kultur- und naturwissenschaftlichen Themen voranzutreiben. Dies gewinnt in jüngster Zeit gerade durch umweltbezogene Themen zunehmend an Bedeutung. Die Themen- und Forschungsvielfalt unseres Fachs führt zu Überschneidungen mit anderen Fächern, welche ebenfalls einen Zugang zur Lehramtsausbildung wünschen – dies wurde zuletzt durch Aufrufe aus den geowissenschaftlichen Fächern sehr deutlich (s.z.B. Leopoldina-Zukunfsreport; Positionspapier der GeoUnion und des Dachverbandes der Geowissenschaften: Mehr Erdsystemwissen in der Schule).
Viele von uns bilden an den Geographischen Instituten angehende Lehrerinnen und Lehrer aus, vor allem für Gymnasien und Gesamtschulen, aber vielfach auch für andere Schulformen. Viel zu häufig wird aber diese Ausbildung vor allem als Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen aus der Fachdidaktik verstanden, die mit dem Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD) ihren eigenen Teilverband innerhalb der DGfG haben. Für das Schulfach Geographie/Erdkunde sollten wir uns aber alle mehr engagieren. Es gibt dafür eine ganze Reihe guter Gründe:
Die Lehramtsstudierenden stabilisieren seit vielen Jahren unsere Studierendenzahlen auch und gerade dann, wenn die Nachfrage nach den reinen Fachstudiengängen stark schwankt oder gar sukzessive zurückgeht, wie dies nicht wenige Institute in den letzten Jahren erfahren haben. Man kann davon ausgehen, dass es einige kleinere Geographische Institute gibt, die überwiegend
oder sogar ausschließlich aufgrund der Auslastung der lehramtsbezogenen Studiengänge überleben. Und auch die Nachfrage nach fachbezogenen BSc-, BA-, MSc- und MA-Studiengängen profitiert davon, dass Schülerinnen und Schüler bereits im Schulunterricht an die Geographie herangeführt werden. Gute Lehrerinnen und Lehrer sind das beste Aushängeschild, das wir uns für unsere universitären Studiengänge wünschen können.
Der Schulunterricht ist in seiner Bedeutung, das Interesse an einem bestimmten Studienfach zu wecken, nicht zu unterschätzen – das wird
auch von den anderen geowissenschaftlichen Disziplinen wahrgenommen, deren Studierendenzahlen häufig viel geringer sind als die in der Geographie. Der große und zunehmend einflussreichere Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo) lässt derzeit wenig unversucht, um mit seinen Inhalten in die Schule zu drängen, in der Regel eher in Konkurrenz zu als in Kooperation mit der Geographie. Aber auch aus anderen Fachrichtungen steht die Geographie unter Druck. Bereits seit langem versuchen andere etablierte Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Fächerspektrums wie vor allem die Geschichte und die Sozialwissenschaften in Konkurrenz zur Geographie Boden gut zumachen. Mit dem Fach Wirtschaft, dessen Etablierung große Unterstützung von einflussreichen Interessensverbänden und aus der Politik erfährt, entsteht ein neuer Konkurrent um die engen Stundentafeln an den Schulen. Bei den entsprechenden Verhandlungen werden wir oft nicht konsultiert, obwohl ohne Frage ein großer Teil der ökonomischen Bildung bislang im Geographieunterricht erfolgt.
Wir täten also gut daran, uns auch als Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler (wieder) mehr um das Schulfach Geographie/ Erdkunde zu kümmern und uns beispielsweise in unseren jeweiligen Bundesländern stärker in die Gestaltung der Kernlehrpläne einzubringen, in denen wesentliche Inhalte für viele Jahre festgezurrt werden. Auch ein starkes Engagement von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern bei der Erstellung von Schulbüchern oder Beiträgen in sog. Transferzeitschriften kann hier etwas bewegen und wichtige Weichen stellen.
Wir haben zu den großen Herausforderungenunserer Zeit wie etwa Klima- und Umweltwandel, Nachhaltigkeit, Globalisierung, Migration oder Ernährungsfragen ohne Zweifel viel beizutragen. Dies alles sind Themen, die für die Zukunftsgestaltung eminent wichtig sind und junge Menschen für unser Fach begeistern können. Wir müssen aber dafür sorgen, dass diese Themen in Schul-unterricht – und eben am besten im Erdkundeunterricht – ihren angemessenen Platz bekommen. Außerdem müssen wir unsere Studierenden in den lehramtsbezogenen Studiengängen in die Lage versetzen, die entsprechenden Inhalte mit hoher fachlicher und didaktischer Qualität im Schulunterricht vermitteln zu können. Dies wird gelingen, wenn wir unsere fachliche Ausbildung
wieder stärker auf die Interessen dieser Studierendengruppe ausrichten.
Unserer Beobachtung nach gibt es einen breiten Konsens, die Physische Geographie wieder stärker im Schulunterricht zu verankern, insbesondere in denjenigen Bundesländern, in denen an Schulen fast nur noch Humangeographie gelehrt wird. Allerdings sollten wir das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten und bisher Erreichtes leichtfertig aufs Spiel setzen, weil auch die anderen Gesellschaftswissenschaften wie Geschichte und Wirtschaft nicht schlafen und einige unserer traditionellen (sozialwissenschaftlichen) Themen durchaus gerne übernehmen würden. Hier kommt es nicht zuletzt auf das Wording an. Mehr Physische Geographie zu fordern wäre sicher sinnvoll. Die Forderung nach mehr Geowissenschaften im Erdkundeunterricht – wie dies einige jüngere Positionspapiere tun, an denen auch Kolleginnen und Kollegen aus der Geographie mitgearbeitet haben – könnte in der momentanen Situation dagegen eher kontraproduktiv sein.
Auch wenn die Positionen im Einzelnen durchaus etwas auseinanderliegen mögen, ist es schön zu sehen, dass das Schulfach Geographie/Erdkunde auch in den universitären Diskursen wieder eine größere Rolle spielt. Diese Entwicklungen sollten wir auch an unseren Instituten und Forschungseinrichtungen aufgreifen. Hilfreich wäre es, wenn wir dabei noch deutlicher mit einer Stimme sprechen und die Kommunikationsebenen der Verbände stärker nutzen würden. Das wird für die Zukunft für die Geographie/Erdkunde als Schulfach überlebenswichtig sein! Und dies lässt sich vor allem durch einen offenen und intensiven innerfachlichen Diskurs sowie durch das persönliche Engagement möglichst vieler Kolleginnen und Kollegen am besten erreichen.
Wir würden uns freuen, wenn wir mit diesem kurzen Editorial eine Diskussion über die verschiedenen Geographie-Standorte hinweg anstoßen könnten. Meinungen, Kommentare und Erfahrungen können gerne per E-Mail an das GEO-Büro gesendet werden.
Birgit Terhorst und Boris Braun