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Rundbrief Geographie Heft 309

Veröffentlicht im Rundbrief 309

Editorial: Geographische Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum – Ein Aufruf zur Debatte und Unterstützung

Liebe Leserinnen und Leser,
in Zeiten einer fortschreitenden Internationalisierung und Standardisierung von Fachzeitschriften ist der deutschsprachige Raum nach wie vor durch ein vielfältiges Angebot geographischer Zeitschriften gekennzeichnet. Diese unterscheiden sich hinsichtlich Tradition, Selbstverständnis, Themen, Sprachen und Arbeitsweise. Die Fachzeitschriften eint jedoch, dass sie seit einiger Zeit ganz ähnlichen Herausforderungen gegenüberstehen und angesichts diverser Entwicklungen des Publikationswesens ihre Position ausloten (müssen). Einerseits haben Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften gegenüber Monographien an Bedeutung gewonnen. Andererseits internationalisiert sich das Publizieren zunehmend und die nicht-englischsprachigen Zeitschriften drohen in diesem Prozess an Renommee einzubüßen.
Angesichts dieser dynamischen Situation fand beim DKG 2023 in Frankfurt am Main zum ersten Mal ein informeller allgemeiner Austausch von Kolleg:innen statt, die als Herausgeber:innen von geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum fungieren. Aus diesem informellen Treffen ist ein offener Ad-hoc-Arbeitskreis hervorgegangen. Die Zahl der Mitwirkenden wächst seither und wir freuen uns auf weitere Beteiligung und Unterstützung. Uns geht es nicht nur um einen Austausch unter den Zeitschriften, sondern vor allem mit der Fach-Community. Allgemein wollen wir zu gemeinsamer Reflexion und Austausch darüber anregen, welche Rolle geographische Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum in unserer Fach-Community spielen können und sollen – was aber umgekehrt auch die Fach-Community für die Zeitschriften tun kann. Als eines der wichtigsten gemeinsamen Themen haben wir das Begutachtungswesen identifiziert, das wir in diesem Diskussionsbeitrag in den Mittelpunkt stellen wollen.

Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum in einer dynamischen internationalen Publikationslandschaft
Die gegenwärtige Publikationslandschaft wird von zwei äußerst erfolgreichen neuen Geschäftsmodellen geprägt. Die Big Five des akademischen Verlagswesens – Elsevier, John Wiley & Sons, Taylor & Francis, Springer Nature, SAGE – publizieren führende internationale Zeitschriften unseres Faches sowie eine stetig anwachsende Zahl neuer Titel. Die Zeitschriften dieser Verlage werden in großen und teuren „Paketen“ konsortial vertrieben und vereinen über die Hälfte des weltweiten Umsatzes im Bereich des Academic Publishing auf sich (https://wordsrated.com/ academic-publishers-statistics/), was deren dominante Position im internationalen Wettbewerb unterstreicht. Daneben sind zahlreiche Predatory Publisher entstanden, in deren Zeitschriften bei abgesenkten Qualitätsstandards gegen Gebühr massenhaft, schnell und tendenziell inhaltlich weitgehend beliebig publiziert werden kann. Welche Folgen haben diese Entwicklungen für geographische Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum? Beide Geschäftsmodelle basieren darauf, dass hohe Kosten für Article Processing Charges für die Einreichenden bzw. die sie unterstützenden Institutionen und/oder hohe Abonnementkosten für Bibliotheken anfallen. Auf diese Weise werden für die Publikation der Ergebnisse meist öffentlich finanzierter Forschung weitere öffentliche Mittel direkt den genannten Großkonzernen zugeführt. Zugleich müssen Bibliotheken sparen, was sie häufig im diversen Feld „sonstiger“ Zeitschriften tun (müssen). Zu diesen zählt auch die Mehrzahl der geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum, die teils von Verbänden und Gesellschaften herausgegeben werden und vielfach bei kleinen bis mittelgroßen Verlagen erscheinen. (Im Fall der von einem unabhängigen Redaktionskollektiv herausgegebenen „sub\urban“ ist die Förderung im konsortialen KOALA-Projekt bedeutsam, das auf aktuelle, hier jedoch nicht näher beleuchtete Dynamiken im Open-Access-Bereich verweist.)

Die skizzierten Geschäftsmodelle der Big Five und der Predatory Publishers können nur funktionieren, weil sich die Bedeutung des „internationalen“, mithin englischsprachigen Publizierens für Geograph:innen aus nicht-englischsprachigen Fach-Communities verändert hat. Damit einher geht ein Renommeegewinn internationaler Journals, häufig gemessen am Impactfaktor. Dieser Wandel wirkt selbstverstärkend, weil er zu einer Attraktivitätssteigerung der betreffenden Zeitschriften führt, was es ihnen wiederum leichter macht, qualitätsvolle Beiträge einzuwerben. Teil dieser selbstverstärkenden Dynamik ist eine zunehmende Präferenz für internationale Fachzeitschriften und englischsprachiges Publizieren auch bei Early Career Researchers und Doktorand:- innen bzw. deren Betreuer:innen. Schließlich will man nicht nur an internationalen Debatten teilhaben, sondern muss auch den eigenen CV für Bewerbungen und Berufungen optimieren sowie Arbeitgeber:innen und Drittmittelgeber:innen gegenüber belegen, dass deren Humankapitalinvestitionen Früchte tragen.

Was geographische Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum leisten (wollen)
Ohne Alleinstellungsmerkmale und ein klares Profil – in Abgrenzung zu den Big Five und den Predatory Publishers – geraten Zeitschriften kleinerer Verlage zunehmend unter Druck und müssen über kurz oder lang um ihr Bestehen kämpfen. Infolgedessen zeigt sich im deutschsprachigen Raum ein Trend zur Profilbildung und Ausdifferenzierung von Zeitschriften, die ihre strukturelle Position in Vorteile umzuwandeln versuchen.

Erstens ermöglicht es die Deutsch- bzw. häufig Mehrsprachigkeit dieser Fachzeitschriften, Debatten in unterschiedlichen Sprachen mit unterschiedlichen thematischen, konzeptionellen und stilistischen Schwerpunkten aufrechtzuerhalten und so zu einer pluralen Wissensproduktion beizutragen. Zudem erlauben andere Formate als das an den Naturwissenschaften orientierte typische Journal Paper auch nicht-anglophonen Praktiker:innen und Öffentlichkeiten einen erleichterten Zugang zu Veröffentlichungen. Die Zeitschriften eröffnen Räume für spezifische, häufig praxisnahe Debatten, die sich auch auf Probleme „vor der Haustür“ beziehen, was insbesondere für anwendungsbezogene und eingreifende kritische Forschung einen hohen Wert hat.
Zweitens bietet die Vielfalt geographischer Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum aufgrund ihrer deutlich größeren Unabhängigkeit von großen kommerziellen Wissenschaftsverlagen vergleichsweise gute Publikationsbedingungen (etwa in Hinblick auf Publikationskosten) sowie größere Einflussmöglichkeiten für die Herausgeber:innen, Aspekte der Finanzierung wie z. B. Modelle von Open Access, Gebührenstrukturen für Autor:innen etc. mitzugestalten.
Drittens bieten sich einige dieser Fachzeitschriften insbesondere (wenngleich natürlich nicht ausschließlich!) als Einstiegsjournals für Wissenschaftler:innen in einer frühen Karrierephase an. Denn aufgrund der kleineren Communities sind diese Zeitschriften trotz ihres strengen Qualitätsmanagements und häufig „zweiseitig anonymisierter“ Begutachtungsprozesse oft durch eine persönlicher gehaltene Kommunikation – und ggf. maßgeschneiderte Ratschläge – gekennzeichnet als die großen anglophonen Journals.

Begutachtungsprozesse: Ein Aufruf zu mehr Unterstützung
Der Weg vom Schreiben zur Veröffentlichung kann sehr langwierig sein. So wird ein Manuskript nach dessen Einreichung von den Herausgeber:innen zunächst dahingehend überprüft, ob es in vorliegender Form in die Begutachtung gegeben werden kann oder als „Desk Rejection“ abgewiesen wird. Eine gründliche Begutachtung mit konstruktiven Vorschlägen für eine mehr oder weniger umfassende Überarbeitung ist eine wichtige und zeitintensive Aufgabe. Für die Organisation des Begutachtungsverfahrens einschließlich der Gewinnung fachlich geeigneter Gutachter:innen ist eine wissenschaftlich qualifizierte Person verantwortlich, die i.d.R. zu den Herausgeber:innen der betreffenden Zeitschrift zählt. Im Anschluss an das Begutachtungsverfahren, das mehrere Schleifen durchlaufen kann, treffen die Herausgeber:innen im besten Fall die Entscheidung, dass der Artikel zur Veröffentlichung angenommen wird. Danach kann – unter Einbezug nichtwissenschaftlicher Fachkräfte – eine formale Prüfung und redaktionelle Nachbearbeitung sowie die Formatierung von Text und eventuellen Abbildungen erfolgen. Nach der Durchsicht und Druckfreigabe durch die Autor:innen wird der Zeitschriftenbeitrag schließlich in gedruckter und/oder digitaler Form publiziert, sodass er gelesen, rezipiert und zitiert werden kann. Alle diese Arbeitsschritte werden meist in Kooperation mit bzw. im Auftrag von einem Verlag o.a. unternommen. Es sind (teils sehr) zeitaufwendige Aufgaben, von denen der überwiegende Teil an ein hohes Maß von wissenschaftlicher Qualifikation und Verantwortung gebunden ist. Gleichzeitig gehören diese Aufgaben auch zum Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens. Durch sie wird wissenschaftlicher Austausch generiert, Argumente erprobt und debattiert. Vielen der geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum fällt es zunehmend schwer, diese Arbeiten zu gewährleisten. Um dem oben dargestellten „Zangengriff“ zwischen den Geschäftsmodellen des internationalen Publikationswesens standzuhalten und ihre besondere Rolle für die Fach-Community weiterhin ausfüllen und gestalten zu können, sind diese Zeitschriften auf ein engagiertes Mitwirken eben dieser Community dringend angewiesen. Dies betrifft maßgeblich die folgenden vier Bereiche.

Erstens freuen wir uns als Herausgeber:innen über qualitativ hochwertige Einreichungen sowie Vorschläge für Themenhefte (etwa aus Workshops oder Konferenz-Sitzungen) – von erfahrenen Kolleg:innen wie auch von Doktorand:innen (etwa im Rahmen kumulativer Promotionen) und Projektmitarbeiter:innen. Letztgenannten wird zunehmend geraten, früh und oft noch vor Durchführung der eigenen Empirie zu publizieren, was jedoch unbedingt ein Mindestmaß an Unterstützung und Qualitätskontrolle seitens der Betreuer:innen, Projektleitungen oder anderer erfahrener Kolleg:innen erfordert. Diese Betreuung und Qualitätskontrolle sind leider nicht immer gewährleistet. Dies betrifft in erster Linie den Inhalt, die Strukturierung und Argumentation sowie die Auswahl von Zeitschriften in Bezug auf die inhaltliche Passung. Ferner sollte vor der Einreichung eines Beitrags selbstverständlich sichergestellt sein, dass dieser sorgfältig und ohne Tippfehler geschrieben ist und die formalen Vorgaben der betreffenden Zeitschrift berücksichtigt. Es ist eine Aufgabe der Betreuer:innen, die Entstehung eines Beitrags durch Ermutigung und das Aufzeigen möglicher Schwächen und Überarbeitungsbedarfe zu begleiten und letztlich eine Einschätzung zu geben, wann ein Beitrag so weit ausgearbeitet ist, dass er eingereicht werden kann. Die Betreuung von Doktorand*innen darf nicht in Reviewprozesse „ausgelagert“ werden.

Zweitens wird es zunehmend schwieriger, Gutachter:innen zu finden und Gutachten in zugesagter Zeit und adäquater Qualität zu erhalten (vgl. BELINA & VOGELPOHL 2017, WARDENGA 2017). An eine simple Grundregel muss immer wieder erinnert werden: Autor:innen sind auch Gutachter:innen. Es ist nur fair, für jedes eingereichte Manuskript mindestens zwei Gutachten einschließlich möglicher Nachbegutachtungen zuzusagen. Hinzu kommen die Manuskripte von Doktorand:innen und jenen Projektmitarbeiter:innen, für die man zuständig ist, die aber im Fall einer sehr frühen Karrierephase i.d.R. nicht selbst zur Begutachtung angefragt werden (sollten). Bei Anfragen zur Begutachtung, die entweder seitens Zeitschriften der Big Five und von Predatory Publishers oder von geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum gestellt werden, bitten wir darum abzuwägen, ob Erstere wirklich Ihre Expertise benötigen – was bei Letzteren aufgrund von Sprachkompetenz und Kenntnis der auch deutschsprachigen Literatur ziemlich sicher der Fall ist. Zwei diskutierte und praktizierte Umgangsweisen mit diesem Problemkomplex bestehen darin, entweder die Ansprüche an Ausführlichkeit und Qualität von Gutachten zu senken und sie nicht mehr zur Verbesserung, sondern ausschließlich zur Bewertung von Artikeln zu nutzen (DERICKSON 2022), oder den Anteil an „Desk Rejections“ zu erhöhen, d.h. mehr eingereichte Artikel erst gar nicht in die Begutachtung zu geben. Beide Wege erscheinen uns nicht erstrebenswert, und wir bemühen uns, sie (möglichst auch weiterhin) zu vermeiden. Dabei sind wir dringend auf die Unterstützung durch Gutachter:innen angewiesen, die wir zudem bitten, möglichst rasch auf Anfragen zu antworten und sich anschließend möglichst zeitnah mit dem Artikel zu befassen.

Drittens gibt es verschiedene weitere Wege, die geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum zu unterstützen: sicherstellen, dass die eigene Institution sie abonniert bzw. konsortial unterstützt; auf neue Bücher zur Rezension hinweisen und Rezensionen schreiben und anbieten; entsprechende Zeitschriften lesen, zitieren, in der Lehre nutzen und ggf. auf sie reagieren, etwa in Form eigener Einreichungen.

Viertens sollten wir alle als Angehörige der geographischen Fach-Community in unseren diversen Rollen als Gutachter:innen in kompetitiven Ausschreibungen (z. B. Berufungsverfahren) wie auch bei der Betreuung und Beratung von Early Career Researchers gemeinsam darauf hinwirken, dass die hohe Qualität und wissenschaftliche Eigenständigkeit der Zeitschriften im deutschsprachigen Raum anerkannt und wertgeschätzt wird. Dazu gehört auch, in Begutachtungen nicht automatisch „internationale“ Publikationen als „besser“ zu bewerten, sondern den Blick auf die wissenschaftliche Qualität der Beiträge zu richten. Wenn die geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum unserer Fach-Community erhalten bleiben sollen, dann brauchen sie unser aller Unterstützung und Arbeitskraft – Ressourcen, bei deren Verausgabung wir zumindest immer mitbedenken sollten, ob wir sie den Großkonzernen der Big Five und der Predatory Publishers oder vorwiegend den geographischen Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum zugutekommen lassen wollen.

Darüber hinaus erscheint es uns wichtig, auch in einem weiteren Sinn über die Problematiken des gewinnorientierten Publikationswesens und dessen Auswirkungen zu diskutieren und über eventuelle Freiräume für alternative Modelle nachzudenken. Dazu gehören Modelle von Open Access, die den offenen Zugang zu akademischem Wissen ermöglichen, ebenso, wie aktuelle Debatten um Slow Scholarship, die für Produktionsbedingungen jenseits der immer weiter beschleunigten neoliberalen Verwertungslogiken plädieren. Über diese Themen wollen wir in der Ad hoc-Gruppe weiter im Austausch bleiben. Irgendeine Form der laufenden, kollektiven Reflexion über die hier angesprochenen Entwicklungen sehen wir als zunehmend nötig – nicht nur „nice to have“, um dem deutschsprachigen geographischen Diskurs eine „mehr-als-defensive“ Zukunft zu gewährleisten.

Bernd BELINA (Goethe-Universität Frankfurt, Geographische Zeitschrift), Tim FREYTAG (Universität Freiburg, Geographische Zeitschrift), Matt HANNAH (Universität
Bayreuth, Geographische Zeitschrift), Sebastian Henn (Universität Jena, ZFW – Advances in Economic Geography), Hanna HILBRANDT (Universität Zürich, Geographica Helvetica), Jan HUTTA (Universität Bayreuth/ Goethe-Universität Frankfurt, sub\urban), Caroline KRAMER (KIT – Karlsruher Institut für Technologie, Berichte. Geographie und Landeskunde), Olaf KÜHNE (Universität Tübingen, Berichte. Geographie und Landeskunde), Nadine MARQUARDT (Universität Bonn, Geographica Helvetica), Annika MATTISSEK (Universität Freiburg, Die Erde), Boris MICHEL (Universität Halle, sub\urban), Carmella PFAFFENBACH (RWTH Aachen, Geographische Zeitschrift), Kati VOLGMANN (ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Raumforschung und Raumordnung), Alexander VORBRUGG (Universität Bern, Geographica Helvetica)
Kontakt
Hanna Hilbrandt, hanna.hilbrandt@geo.uzh.ch
Literatur
BELINA, B. & A. VOGELPOHL (2017): Gutachten: individueller Ärger, strukturelle Gründe, produktive Auswege. Rundbrief Geographie 268: 20 –22.
DERICKSON, K. (2022): The case for doing less in our peer reviews. Environment and Planning D: Society and Space, 40(6): 963–966. https://doi. org/10.1177/02637758221142339
WARDENGA, U. (2017): Einige (wissenschaftssoziale) Bemerkungen zum Schreiben und Begutachten von Texten. Rundbrief Geographie 268: 9–11.