Editorial: GEOGRAPHY4FUTURE
LIEBE GEOGRAPHINNEN UND GEOGRAPHEN,
seit 2019 gibt es SCIENTISTS FOR FUTURE (S4F) als überinstitutionellen, überparteilichen und interdisziplinären Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen, die sich angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise öffentlich dafür einsetzen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in politischen und gesellschaftlichen Debatten Berücksichtigung finden. Interdisziplinarität ist dabei zentral. So bilden S4F eine Allianz „that goes far beyond specialists in climate and biodiversity science, sustainability, social science, or engineering. We will not achieve a sustainable future without, for example, including aspects of political participation, education, gender, and justice issues (including climate justice). We need the diverse gifts, experiences, and insights of all disciplines to solve the unprecedented problems that humanity is facing.“ (HAGEDORN et al. 2019, 83).
Für uns Geograph:innen klingen vermutlich (fast) alle der genannten Schlagworte – Interdisziplinarität, Klima, Biodiversität, Nachhaltigkeit, Sozialwissenschaften, Technik, politische Partizipation, Bildung, Gender, Gerechtigkeit – sehr vertraut. Viele dieser Themen werden mittlerweile auch im Schulfach „Geographie“ (in Deutschland) bzw. „Geographie und Wirtschaftskunde“ (in Österreich) zunehmend abgebildet. Nicht ohne Grund bezeichnete sich kürzlich die deutsche Schulgeographie selbst als „Zukunftsfach“ (DGfG 2021). Letztlich machen uns S4F am Beispiel der Nachhaltigkeitskrisen vor, wie interdisziplinäre, wissenschaftliche Kooperation erfolgreich gelebt und dabei die den Wissenschaften zugeschriebene gesellschaftliche Verantwortung übernommen werden kann.
Seit ihrer Gründung verzeichnen S4F ein breites Spektrum an Aktivitäten, das die Klimakrise ins Bewusstsein der Menschen rückt und Fridays for Future unterstützt. So wurden nach der initialen Stellungnahme 2019 viele weitere Diskussionsbeiträge und Policy Papers (zum Beispiel zur Wärmewende) erarbeitet, viele Beratungen und Reviews für Fridays for Future durchgeführt, der deutsche Bürgerrat Klima 2019 wesentlich mitinitiiert und unterstützt, viele Vortrags- und Veranstaltungsreihen, Pressekonferenzen und Podcasts durchgeführt und unkonventionelle Kommunikationsformen wie Klimastraßenbahnen, -busse und -brücken umgesetzt. Bei sozialen (Protest-)Bewegungen fokussiert sich die Aufmerksamkeit im Laufe der Zeit oft auf Einzelpersonen. Obwohl es sowohl bei Fridays for Future als auch bei Scientists for Future solche Einzelpersonen gibt (z. B. Greta THUNBERG, Luisa NEUBAUER, Stefan RAHMSTORF, Claudia KEMFERT, Volker QUASCHNING oder Maja GÖPEL) wird in beiden Bewegungen Wert auf Diversität gelegt. Hier ist Platz. Platz für mehr Geograph:innen, die in ihrer Zukunftswissenschaft Neues und Herausforderndes wagen wollen. Die auch dort sprechen, wo es politisch zu werden droht. Die es wagen, gesellschaftliche Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die nicht so gut abgesichert sein können wie Problembeschreibungen. Die ihre wissenschaftlichen Unsicherheiten ebenso wie ihre
Sorgen über die bedrohlichen multiplen Krisen mit der Öffentlichkeit teilen.
Wir denken, dass gerade etablierte Wissenschaftler:innen hier mutig und als Vorbild voranschreiten können – und sollten. In welchem Ausmaß wir Geograph:innen uns beteiligen, ist eine zutiefst persönliche Entscheidung. Aber dennoch: Den meisten von uns ist bewusst, dass wir unsere Komfortzonen verlassen müssen, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Dieses Heraustreten aus den Komfortzonen ist leichter, wenn man zusammen handelt, beispielsweise im Rahmen von S4F. Und es wird nochmals leichter durch die Erfahrung, dass die geographische Perspektive extrem hilfreich für das Gelingen der Transformation sein kann. Für S4F gilt explizit: Geographers welcome! Fachlich interessanten, inter- und transdisziplinären Austausch und oftmals hochkarätige Vernetzungsmöglichkeiten bieten Fachgruppen wie die FG Energie, FG Kommunaler Klimaschutz, FG Mobilität/Verkehr, FG Schulen in Deutschland oder die FG Biodiversität, FG Bodenverbrauch, FG Klimakrise/Militär/Konflikt, FG Kreislaufwirtschaft und Ökonomie sowie FG Politik und Recht in Österreich. Lokale Anschlussmöglichkeiten bestehen in den vielen Regionalgruppen – Infos dazu finden sich auf den jeweiligen Homepages von S4F-AT und S4F-DE. Auch und gerade für die diversen Arbeitskreise der DGfG bieten sich viele Anknüpfungspunkte. Wir freuen uns auf eure geographische Expertise!
Literatur
DGfG – DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR GEOGRAPHIE (2021): Geographie. Das Zukunftsfach. 32 S.
Online abrufbar: https://geographiedidaktik.org/zukunftsfach/ (zuletzt abgerufen am
5.7.2023). HAGEDORN, Gregor, LOEW, Thomas, SENEVIRATNE, Sonia I., LUCHT, Wolfgang, BECK, Marie-Luise, HESSE, Janina, KNUTTI, Reto, QUASCHNING, Volker, SCHLEIMER, Jan-Hendrik, MATTAUCH, Luise, BREYER, Christian, HÜBENER, Heiko, KIRCHENGAST, Gottfried, CHODURA, Alice, CLAUSEN, Jens, CREUTZIG, Felix, DARBI, Marianne, DAUB, Claus- Heinrich, EKARD, Felix, GÖPEL, Maja, HARDT, Judith N., HERTIN, Julia, HICKLER, Thomas, KÖHNCKE, Arnulf, KÖSTER, Stephan, KROHMER, Julia, KROMPKOLB, Helga, LEINFELDER, Reinhold, MEDERAKE, Linda, NEUHAUS, Michael, RAHMSTORF, Stefan, SCHMIDT, Christine, SCHNEIDER, Christoph SCHNEIDER, Gerhard, SEPPELT, Ralf, SPINDLER, Uli, SPRINGMANN, Marco, STAAB, Katharina, STOCKER, Thomas F., STEININGER, Karl, HIRSCHHAUSEN, Eckart von, WINTER, Susanne, WITTAU, Martin & Josef ZENS (2019): The concerns of the young protesters are justified. A statement by Scientists for Future concerning the protests for more climate protection. GAIA 28/2 (2019): 79 –87. Online abrufbar: https://www.oekom.de/_files_media/zeitschriften/artikel/GAIA_2019_02_79.pdf (zuletzt abgerufen am
5.7.2023).