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Rundbrief Geographie Heft 307

Veröffentlicht im Rundbrief 307

Editorial: Nachhaltigkeit in der geographischen Wissenschaft

Im Juni 2023 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die „Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens im Förderhandeln der DFG“ beschlossen. Antragstellende sind seither gehalten, sich entlang eines Leitfragenkatalogs mit der Nachhaltigkeit im Rahmen ihrer beantragten Forschungsprojekte auseinanderzusetzen und diesbezügliche Überlegungen im Antrag in knapper Form darzulegen. Mehrere Mitglieder des jetzt ausscheidenden Fachkollegiums Geographie der DFG haben beratend am Konsultationsprozess zu diesem neuen Aspekt in der Förderpraxis der DFG teilgenommen. Wir haben die DFG ermutigt, Aspekte der Nachhaltigkeit in ihrem Förderhandeln proaktiv in ihren Regularien zu verankern, statt lediglich auf bundes- oder landesgesetzliche Vorgaben zu verweisen. Ein Fach wie die Geographie, das intensiv zu Fragen von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und planetaren Grenzen forscht und dessen Forschende davon überzeugt sind, dass der dem Fach inhärente multidisziplinäre Ansatz prädestiniert sei für sozialökologische Forschung zu diesem Fragenkomplex, tut gut daran, auch das eigene Handeln vor diesem Hintergrund zu hinterfragen. Insofern begrüße ich die Initiative der DFG sehr. Ähnlich wie bei anderen Fragen des Forschungskontextes, wie z. B. Gendergerechtigkeit, Diversität oder Forschungsdatenmanagement, erwarte ich, dass die eingeforderte Verbindlichkeit der Aussagen zum Themenkomplex Nachhaltigkeit in den Forschungsanträgen im Lauf der Jahre zunehmen wird. Aspekte der Nachhaltigkeit in Forschungsanträgen müssen, davon bin ich überzeugt, auch bei den Auswahlentscheidungen stärker an Gewicht gewinnen.

Auch wenn Nachhaltigkeit wesentlich mehr Dimensionen umfasst als Klimaschutz, möchte ich diesen einen Nachhaltigkeitsaspekt herausgreifen und im Folgenden eingehender beleuchten, da er derzeit viel Raum in der politischen Diskussion einnimmt und wichtige Implikationen für die Geographie mit sich bringt.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Der Akademische Senat der Humboldt-Universität zu Berlin hat, ähnlich wie an vielen anderen Standorten auch, beschlossen, dies bereits 2030 erreichen zu wollen. Angesichts des bisherigen Umsetzungstempos erscheint dieses Ziel allerdings nicht sehr realistisch. Das liegt zu einem guten Teil auch daran, dass die Universität auf einige der wichtigen Rahmensetzungen keinen direkten Einfluss hat: Da weder das Berliner Fernwärmenetz noch der Strommix in Deutschland bis 2030 klimaneutral sein werden, wird auch die Universität keine umfassende Klimaneutralität erreichen können.
Solche Einwände dürfen aber keine Entschuldigung dafür sein, das offensichtlich Notwendige und Mögliche nicht oder nicht konsequent genug anzugehen. Mein diesbezüglicher Appell vor dem 2023 („Wenn es nicht einmal eine vergleichsweise einfache Institution wie eine Universität schafft, bis 2030 klimaneutral zu werden – wie soll es dann das ganze Land bis 2045 schaffen?“), der in den Medien, u.a. im Tagesspiegel, aufgegriffen wurde, zielte genau in diese Richtung. Der Energieverbrauch von Rechenanlagen, insbesondere für deren Kühlung, die Materialbeschaffung für Büros und Labore, der universitätseigene Fuhrpark, die Pendlermobilität der Beschäftigten und nicht zuletzt die Dienstreisetätigkeit sind Handlungsfelder, die es unverzüglich zu bearbeiten gilt.

Auch geographische Forschung und Lehre verursachen durch Konferenzreisen, Geländearbeiten und Exkursionen einen erheblichen CO2- Fußabdruck. Es scheint mir wenig überzeugend, wenn wir als geographische Wissenschaftsgemeinschaft der Wirtschaft und Gesellschaft klimaneutrales „Wasser“ predigen, selbst aber bei unserer eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit am „Wein“ interkontinentaler Fernreisen festhalten wollen. Da absehbar ist, dass es klimaneutrales Fliegen nicht vor Mitte des Jahrhunderts geben wird, sollte es aus meiner Sicht zur Pflicht werden, dass wir in der Scientific Community Rechenschaft darüber ablegen, welche Flugreisen wirklich unvermeidbar sind. Wenn bei einer normalen Sachbeihilfe der DFG mehrere Flugreisen zu Konferenzen auf anderen Kontinenten eingeplant werden, anstatt zumindest teilweise auf hybridere Tagungsorte in Europa zu setzen, finde ich das bedenklich. Auch bei der Feldforschung könnte man neue Wege z.B. der Kooperation mit Partnern vor Ort gehen, um die Zahl der Flugreisen zu minimieren.

Unvermeidbare Flugreisen und Autofahrten mit Verbrennungsmotoren sollten grundsätzlich kompensiert werden. Die Leuphana Universität Lüneburg hat hierfür bereits einen vorbildlichen Ansatz umgesetzt, auch wenn dieser sicherlich weiterentwickelt werden kann. Wir sollten an allen Hochschulen und Forschungseinrichtungen die reiserechtlichen Möglichkeiten nutzen, um sowohl Kompensationen einzufordern als auch Intracting-Systeme aufzubauen. CO2-Kompensationen, die in Intracting-Fonds fließen, könnten für energetische Sanierungen und die Umstellung auf klimaneutrale Energieerzeugung verwendet werden. Die dadurch erzielten Einsparungen im Haushalt könnten dem Fonds gutgeschrieben werden, sodass ein sich selbst verstärkender Effekt erzeugt werden könnte, der den Übergang zur Klimaneutralität der Institution erheblich beschleunigen würde. Dass der CO2-Preis zur Kompensation innerhalb eines eigenen universitären Intracting-Systems bei Dienst- und studentischen Exkursionsreisen wissenschaftlich begründet und relevant sein sollte und nicht der angesichts der immensen Folgekosten von Klimawandel nach wie vor zu niedrig angesetzten nationalen CO2-Steuer folgen sollte, versteht sich aus meiner Sicht von selbst. Es gibt weitere „low-hanging fruits“ auf dem Weg zur Klimaneutralität, die geographische Institute pflücken könnten: Die Umstellung der Institutsfahrzeuge auf Elektromobilität gehört ebenso dazu wie die Entscheidung, einen Großteil der Exkursionsreisen in den geographischen Studiengängen auf der Basis klimaneutraler Fortbewegungsmitteln wie den eigenen Füßen, dem Fahrrad, Elektrofahrzeugen oder der Bahn zu planen. Damit soll sicher nicht einem Verbot von Exkursionen zu interkontinentalen Zielen das Wort geredet werden. Vor allem, wenn solche Fernreisen von Studierenden mit privaten oder der Forschung dienenden Aufenthalten verbunden werden können, sind diese sicherlich sinnvoll. Der CO2-Fußabdruck könnte in der Exkursionsgruppe transparent gemacht, diskutiert und kompensiert werden und auf diese Weise auch selbst zum Gegenstand von Lehre und Lernen im Zuge des Exkursionsangebots werden. Wichtig erscheint mir, die Bezuschussung von Exkursionsreisen durch die Hochschule konsequent unter Berücksichtigung sozialökologischer Kriterien zu gestalten, unter anderem indem teure Reisen nicht höher bezuschusst werden dürfen als kosten- günstige Angebote. CO2-intensive Anteile einer Exkursion wie Flugreisen und Fahrten mit Verbrennerfahrzeugen sollten generell von einer Bezuschussung ausgeschlossen werden. Ausnahmen könnte ich mir zum Beispiel für Fährfahrten über den Ärmelkanal, die Ostsee oder die Adria vorstellen, sofern dadurch Flugreisen mit wesentlich höheren CO2-Emissionen vermieden werden können.

 

Wir Geographinnen und Geographen haben aufgrund unserer Expertise in der Thematik des Übergangs zur Klimaneutralität eine dreifache Vorbildfunktion. Erstens sind wir Expertinnen und Experten innerhalb unserer Universitäten zu der Thematik. Zweitens spielt unsere Positionierung im gesellschaftlichen und politischen Diskurs eine wichtige Rolle. Drittens nehmen wir eine Vorbildfunktion gegenüber der jeweils nächsten Generation von Geographielehrerinnen und Geographielehrern, angewandten Geographinnen und Geographen und zukünftigen Forschenden, die sich als Studierende an unserem Vorbild orientieren und das im Geographiestudium Gelernte in ihre berufliche Tätigkeiten einbringen, ein. Es gibt viele Wege, um Klimaschutz und Nachhaltigkeit aktiv voranzubringen. Gerade von Geographinnen und Geographen wünsche ich mir dafür eine konsequente Haltung: „Walk your talk!“

Christoph Schneider, Professur für Klimageographie, Humboldt-Universität zu Berlin, derzeit Vizepräsident Forschung der HU Berlin

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