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Rundbrief Geographie Heft 302

Veröffentlicht im Rundbrief 302

Leitlinien der wissenschaftlichen Bildung im Fach Geographie (Bachelor of Science und Master of Science) an österreichischen Hochschulen und Bildungsstätten

Leitlinien der wissenschaftlichen Bildung im Fach Geographie (Bachelor of Science und Master of Science) an österreichischen Hochschulen und Bildungsstätten

Hintergründe zum „Diskussionspapier” und Plädoyer für einen DACH-übergreifenden Dialog

Im Jahr 2022 hat der Verband der wissenschaftlichen Geographie Österreichs das „Diskussionspapier – Leitlinien der wissenschaftlichen Bildung im Fach Geographie (Bachelor of Science und Master of Science) an österreichischen Hochschulen und Bildungsstätten” herausgegeben. Es „benennt Kern- und weiterführende Kompetenzen, die aus Sicht der Autor:innen in den Studiengängen Bachelor of Science und Master of Science im Fach Geographie gefördert werden sollen” (Verband der wissenschaftlichen Geographie Österreichs, 2022, 2). Wie kam es dazu?

Im Frühjahr 2020 wurde der Vorstand des österreichischen Geographieverbands von Teilnehmenden der Generalversammlung aufgefordert, ein Diskussionspapier mit Empfehlungen zu Leitlinien der wissenschaftlichen, geographischen Bildung zu verfassen, wie sie in anderen Ländern – beispielsweise mit dem „Subject Benchmark Statement Geography“ der Quality Assurance Agency for UK Higher Education (QAA 2019) – bereits vorliegen. Hintergründe des Anstoßes war die Feststellung, dass die Geographie sich in der Lehre (und Forschung) mit den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (bspw. Klimawandel, Naturgefahren, Risiken, Ressourcenverknappung, abnehmende Biodiversität, Digitalisierung, demographischer Wandel) auseinandersetzt, dies sich jedoch (zumindest an mehreren Instituten) nicht gleichermaßen in Anmeldezahlen für geographische Studiengänge und außerhalb des Faches in einer entsprechenden Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik widerspiegelt. Weitere Anlässe waren einerseits die wiederholten Angriffe auf das Schulfach Geographie, die in Österreich vor allem vonseiten einer neu gegründeten Stiftung für Finanzwirtschaft ausgehen, die eine Herauslösung eines Faches für Wirtschaft bzw. Finanzwirtschaft aus dem bisher bestehenden Fach für Geographie und wirtschaftliche Bildung (zuvor Geographie und Wirtschaftskunde) verfolgt. Andererseits war auch die organisatorische Trennung der Humangeographie und Physischen Geographie an der Universität Salzburg Anlass für eine Diskussion um die Bedeutung des Faches, die sich nach Auffassung des Verbandes ganz zentral aus dem integrativen Charakter und der Vielfalt interdisziplinärer Vernetzungen des Faches Geographie ergibt. 

Ziel des Diskussionspapiers war daher zunächst einmal die Etablierung eines Dialogs zwischen den Mitarbeitenden, Lehrenden und Studierenden an den Instituten und Fachbereichen für Geographie in Österreich über Leitlinien und Qualitätsstandards im Fach. Es soll anregen zu einem kontinuierlichen, möglichst inklusiven und innovationsorientierten Dialog, in dem die Geographie sich angesichts neuer und verändernder Situationen reflektiert. Es soll ebenfalls unterstützen, die spezifische Situation an den Instituten und Fachbereichen zu betrachten und zu evaluieren sowie mögliche Handlungsoptionen für Weiterentwicklungen abzuleiten. Es kann außerdem Grundlage sein für die Entwicklung weiterer Positionspapiere und Stellungnahmen, die bei relevanten Anlässen, wie den Angriffen auf das Schulfach oder Aufspaltungen von Instituten, schneller entwickelt werden können.

Zur Umsetzung ist ein umfassender Prozess in Gang gesetzt worden, der in verschiedenen Schritten für Mitarbeitende aller geographischen Institute in Österreich geöffnet worden ist. Vorstandsmitglieder haben im Winter 2020/21 einen ersten Entwurf verfasst, der in der Folge als offenes Dokument den Mitgliedern des Geographieverbands und den Mitarbeitenden aller Geographie-Institute zur Ergänzung, Kommentierung und Überarbeitung zur Verfügung gestellt wurde. Im Mai 2021 wurden bei einem vom Verband organisierten „Strategietreffen” der Prozess reflektiert sowie Anmerkungen, Kritik und offene Punkte diskutiert, die dann in das Dokument eingearbeitet wurden. Der Prozess zielte auf eine weite institutionen-, expertisen- und hierarchieübergreifende Mitwirkung, die durch das mehrstufige Verfahren realisiert werden konnte. Er verlief jedoch keinesfalls nur reibungsfrei. Während die Initiative größtenteils auf Zustimmung stieß, gab es auch eine Reihe kritischer Meinungen und Kommentare. Diese hinterfragten einerseits die Notwendigkeit eines gemeinsamen und institutionenübergreifenden Vorgehens, da sie die Etablierung von Leitlinien als Aufgabe der einzelnen Institute und Universitäten sehen. Andererseits wurde infrage gestellt, ob ein gemeinsamer Prozess für die Bachelor und Master of Science und Lehramtsstudiengänge sinnvoll ist und welche Konsequenzen die Leitlinien für die unter regelmäßigem Gegenwind befindlichen Lehramtsstudiengänge haben könnten. In Reaktion auf diese Anmerkungen wurden die Diskussionen um Leitlinien zunächst auf die Bachelor- und Master-of-Science-Studiengänge konzentriert. Außerdem wurden sie als Anregung zu einem gemeinsamen Dialog und zu Reflexionen formuliert, der die verschiedenen Institute entsprechend dem eigenen Wunsch nachkommen können.

Wir sehen, dass solche Diskussionen, wie sie innerhalb Österreichs wissenschaftlicher Geographie geführt worden sind und geführt werden, ebenfalls ein Thema beim Wissenschaftlichen Beirat des VGDH sind und zuletzt wieder im Kontext des von der Leopoldina veröffentlichten Zukunftsreports “Erdsystemwissenschaften” aufgekommen sind, dem eine mangelnde Anerkennung und Rezeption der Beiträge der Geographie vorgeworfen wird. Daher scheint uns eine DACH-übergreifende Diskussion zu der Thematik von Relevanz, die ebenfalls darauf zielen kann, die Außendarstellung und Wahrnehmung des Faches in der Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik sowie im Bildungs- und Forschungsbereich zu erhöhen.

Weitere Informationen

Das Diskussionspapier ist online abrufbar unter geographieverband.at/diskussionspapier

Tabea Bork-Hüffer (Innsbruck), Kirsten von Elverfeldt (Klagenfurt), Ulrich Ermann (Graz) 

Gekürzte Fassung