Stellungnahmen

Zukunftsreport „Erdsystemwissenschaft – Forschung für eine Erde im Wandel“ – Erste Stellungnahme des VGDH-Vorsitzenden, Prof. Dr. Boris Braun

Die vollständige Stellungnahme des VGDH-Vorsitzenden, Prof. Dr. Boris Braun, wurde u. a. im Rundbrief 299 veröffentlicht (hier gekürzt).

Schreiben des Vorsitzenden des VGDH, Boris Braun, an die für den Zukunftsbericht Zuständigen in der Leopoldina (gekürzt)

Aus Sicht des Verbandes für Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH) ist die Initiative des Zukunftreports Erdsystemwissenschaft der Leopoldina grundsätzlich sehr zu begrüßen. Viele der aufgestellten Forderungen sind nachvollziehbar und aus unserer Sicht unterstützenswert.

Ich stelle aber auch fest, dass der Bericht trotz vielfacher Hinweise auf das Anthropozän bezüglich der Rolle des Menschen ausgesprochen unentschieden und zaghaft, ja leider sogar konzeptlos bleibt.

Eine tatsächliche systematische Integration von Mensch und Gesellschaft in die Erdsystemwissenschaft findet außer einer eher oberflächlichen Rhetorik erstaunlicherweise gar nicht statt. Vielmehr bleibt der Report über weite Strecken in einem traditionellen, weitestgehend versäulten Denken verhaftet. Anders sind auch Abbildungen wie 1 oder 3, die seltsam überholt wirken, gar nicht zu erklären. Müsste die gesellschaftliche Dimension nicht viel zentraler mitgedacht werden? Im Report wird sie sowohl verbal als auch grafisch, z.B. in den Abb. 1 und 3, seltsam abgerückt und weitestgehend unbestimmt als „Anthroposphäre“ gekennzeichnet. Ansonsten ist einfach alles mit allem verknüpft. Dies kann dem selbst formulierten Anspruch des Reports kaum gerecht werden, und es stellt sich für mich die Frage, wer einem solchen Ansatz lösungsorientierte Kompetenz zuschreiben würde.

Auch die wenig differenzierten Hinweise auf Nachbardisziplinen wie die Soziologie oder die Politikwissenschaften wirken wenig überzeugend. Ist die Humangeographie auch aus Sicht des Reports ebenfalls eine dieser Nachbarwissenschaften (so liest er sich in wesentlichen Teilen) oder als wichtiger Teil der Geographie auch Erdsystemwissenschaft? Der Report kann sich offenbar hier nicht recht entscheiden. Dabei wäre gerade mit Blick auf die Schule, um diese es den Autorinnen und Autoren zumindest instrumentell als Vorbereitung zu einem geowissenschaftlichen Studium offenbar geht, das Schulfach „Geographie/Erdkunde“ der natürlichste Anknüpfungspunkt für eine erdsystemwissenschaftliche Perspektive. Dass das Schulfach in den meisten Bundesländern heute stark humangeographisch ausgerichtet ist, hat eben auch seine Gründe, die zumindest teilweise auch in den Geowissenschaften selbst liegen.

Dass der Report kein neues Schulfach “Erdsystemwissenschaft” fordert, spricht für einen realistischen Blick auf die eigenen Möglichkeiten und die schulpolitischen Realitäten.

Aus Sicht des VGDH wäre ein Wiedererstarken der naturwissenschaftlichen Anteile im Geographieunterricht durchaus wünschenswert. Der Zukunftsreport ist dabei aber leider keine wirkliche Hilfe.

Es spricht natürlich nichts dagegen, Erdsysteminhalte auch in anderen (vorwiegend naturwissenschaftlichen) Schulfächern zu verankern, aber den Verzicht auf das Schulfach Geographie als entsprechendes Zentrierungsfach empfinde ich als ein Versäumnis und einen strategischen Fehler. Vorarbeiten und Überlegungen der Geographiedidaktik in Richtung eines integrativen, die naturwissenschaftliche Komponente (aus einer raumwissenschaftlichen Sicht) wieder stärkenden Konzepts werden eigentümlicherweise von dem Report völlig ignoriert.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass in der Geographie vor allem in den letzten Jahren integrative Lehrstühle und Professuren entstanden sind, welche Themenbereiche wie Transformationsforschung, Nachhaltigkeit oder Mensch-Umwelt-Forschung hervorragend vertreten. Oder sehen die Autorinnen und Autoren des Reports die in der Regel an den Hochschulen besser ausgelastete Geographie gar als Konkurrenz um die Studierenden der Zukunft?


Weitere Stellungnahmen und die ungekürzten Texte sind im Rundbrief 299 nachzulesen (Für Mitglieder kostenfreier Zugang im Mitgliederbereich).