Forschung

Einblicke in die Geographie

Kartographie und Neurowissenschaft – Wie können Karten in Navigationssystemen die Orientierungsfähigkeit fördern?

Menschen werden in unserer Gesellschaft immer mobiler. Daher spielen Navigationssysteme in Autos oder Mobiltelefonen eine immer wichtigere Rolle bei räumlicher Orientierung und Navigation. Die „kognitive Karte“ (innere Karte), die bei der Verwendung digitaler Navigationsgeräte im Kopf des Nutzers entsteht, ist jedoch viel fragmentierter, unvollständiger und ungenauer als die räumlichen Vorstellungen, die beim Lesen einer herkömmlichen gedruckten Karte entstehen. Da die Abhängigkeit von digitalen Geräten immer größer wird, besteht ein dringender Bedarf an Navigationssystemen, die die Orientierungsfähigkeit fördern, statt reduzieren.

Feuern von Gitterzellen

Um diesem Defizit zu begegnen, wird am Geographischen Institut in Bochum untersucht, wie kartographische Visualisierungen aussehen müssen, um interne Gehirnprozesse gezielt ansprechen zu können. Neurowissenschaftliche Studien haben Gehirnzellen wie z. B. Ortszellen und Gitterzellen identifi ziert, deren Aktivitätsmuster mit Navigationsprozessen in Verbindung stehen. So konnte bei Tierversuchen und indirekt auch bei Menschen gezeigt werden, wie Umweltreize (z. B. Wände oder Grenzen) die Aktivität von Gitterzellen im Gehirn beeinflussen. Die grundsätzliche Wirkung solcher Strukturen auf die Zellaktivierung kann genutzt werden, das Orientierungsvermögen zu verbessern. Nicht nur während der Bewegung im Raum sind räumlich-orientierte Zellen bei  Menschen aktiv, sondern auch schon dann, wenn man sich lediglich vorstellt, sich durch ein Areal zu bewegen – wie dies etwa beim Kartenlesen der Fall ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich die Aktivität von Gitterzellen im Gehirn schon durch Kartenzeichen, die beim Lesen einer Karte, auch einer Bildschirmkarte, wahrgenommen werden, stabilisieren lässt. Einen Ansatz bieten hier die Eigenschaften der Gitterzellen, die über ein geometrisches (hexagonal ausgerichtetes) Feuerungsverhalten verfügen. Auf Karten müssen also markante Linien oder grafische Muster eingetragen werden, in Bildschirmkarten kann dies durch Einblendungen geschehen, die in besonderer Weise geeignet sind, das Feuern von Gitterzellen zu unterstützen. Die Navigation mit Karten, die mit einer solchen Zellaktivierung einhergeht, könnte somit den Aufbau der „inneren Karte“ erheblich beschleunigen und zu einer verbesserten Gedächtnisleistung führen. Um Visualisierungsmechanismen zu identifizieren, die die Zellaktivitäten im menschlichen Gehirn unterstützen, sind empirische Studien vorgesehen. Hierbei werden funktionelle Magnetresonanztomographie, elektroenzephalografische Messungen, virtuelle Realität und auch Verhaltensstudien wie Eye Tracking zum Einsatz kommen.

Fazit

Wenn der Nachweis gelingt, dass sich eine verbesserte räumliche Gedächtnisleistung erzielen lässt, könnte dies unser Verständnis von Navigations- und Kartenleseprozessen nachhaltig erweitern. Die Ergebnisse könnten auf das gesamte Spektrum kartographischer Visualisierungen anwendbar sein, z. B. in Autos, Flugzeugen oder mobilen Geräten wie Tablets oder Mobiltelefonen.

KONTAKT

Prof. Dr. Frank Dickmann, Geographisches Institut der Ruhr-Universität Bochum frank.dickmann@rub
Forschungsprojekt: Advanced Grant des European Research Council „A novel approach to improved navigation performance through memory triggering maps – InnerMap“

Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 9-2024 erschienen.