Forschung

Einblicke in die Geographie

Mind the Gender Gap!

Eine Studie zur Zitierpraxis in der deutschsprachigen Humangeographie

Das Zitieren stellt nicht nur das zentrale Element wissenschaftlicher Kommunikation dar, sondern über das Zitieren wird auch akademische Anerkennung verteilt. Entsprechend gelten Zitationen als Hauptwährung im modernen Wissenschaftssystem. Für die Evaluation von Forschungsleistungen werden Publikations- und Zitationsraten ermittelt und verglichen. Auch Entscheidungen über Stellenbesetzungen und -entfristungen werden heute vielfach mit Blick auf Bibliometriken getroffen. Allerdings sind diese keineswegs frei von systematischen Verzerrungen. Von besonderer Brisanz ist der sogenannte Gender Citation Bias. Dieser besagt, dass Wissenschaftlerinnen – bewusst oder unbewusst – we- niger häufig zitiert werden als ihre männlichen Kollegen und den Frauen somit Anerkennung vorenthalten wird.

Ein Beitrag aus der Passauer Geographischen NetzWerkstatt (geographische-netzwerkstatt.uni-passau.de) zeigt, dass es auch in der deutschsprachigen Humangeographie einen deutlichen Gender Gap gibt.

In der Studie werden die Zitationsbeziehungen zwischen den aktuell 150 Professorinnen und Professoren der Humangeographie in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. Aus deren 4297 Publikationen, die in Scopus, der größten Datenbank peer-reviewter Literatur, gelistet sind, wurden 17 515 Zitate extrahiert, die sich auf 1294 Beziehungen im professoralen Zitationsnetz der Humangeographie verteilen (vgl. Grafik).

Minderbeachtung von Geographinnen

Die Zitationsraten der Professorinnen sind durchschnittlich fast 40% niedriger. Dieses Ergebnis erscheint problematisch, spricht es doch für eine systematische Minderbeachtung von Frauen und somit einen Bruch mit der akademischen Universalismusnorm.

Lassen sich zur Ehrenrettung der Humangeographie Alternativerklärungen finden? Könnte es nicht sein, dass hier ein Senioritätseffekt am Werk ist („Wer länger dabei ist, wird auch häufiger zitiert. Und früher gab es deutlich weniger Professorinnen.”)? Oder wäre es möglich, die differierenden Zi- tationsraten daraus zu erklären, dass sich in Teil-Communities (z. B. Wirtschafts-, Sozialgeographie) unterschiedliche Publikations- und Zitierkulturen herausgebildet haben und sich die Frauenanteile in den fachlichen Feldern unterscheiden?

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass sich die deutschsprachige Humangeographie dem Vorwurf eines Genderpartikularismus im Zitierverhalten stellen muss. Zu diskutieren wäre nun vor allem, wie in unserem Fach damit wissenschaftspraktisch und -politisch umgegangen werden sollte.

Literatur

Steinbrink, M., Aufenvenne, P., Haase, C. und M. Pochadt (2023): Matilda in der Humangeographie: Gender Citation Gap und Zitierpartikularismus. GW- Unterricht (erscheint demnächst).


Autoren

Prof. Dr. Malte Steinbrink, Malte.Steinbrink@uni-passau.de

Dr. Philipp Aufenvenne, Philipp.Aufenvenne@uni-passau.de

Christian Haase, haase10@ads.uni-passau.de Lehrstuhl für Anthropogeographie, Universität Passau

Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Geographischen Rundschau im Westermann-Verlag, Heft 4-2023 erschienen.